14.01.2011

Lukian - Totengespräche

Gibts auch anderswo im Netz, da aber komplizierter zusammengestellt.


Lukian
Totengespräche
Inhaltsverzeichnis
Diogenes und Pollux
Menippos, Krösus, Midas und Sardanapal, seine Ankläger, Pluto
Menippos, Amphilochos, Trophonios
Merkur und Charon
Pluto und Merkur
Terpsion und Pluto
Zenophantes und Kallidemidas
Knemon und Damnippos
Simylos und Polystratos
Charon, Merkur und verschiedene Tote, als Menippos, Charmoleos, Lampichos, Damasias, Krato, ein Soldat, ein
Philosoph und ein Rhetor
Krates und Diogenes
Alexander, Hannibal, Scipio und Minos
Alexander und Diogenes
Alexander und Philippos
Achilles und Antilochos
Diogenes und Herkules
Menippos und Tantalos
Menippos und Merkur
Aiakos, Protesilaos, Menelaos und Paris
Menippos und Aiakos
Menippos und Zerberus
Charon, Menippos und Merkur
Pluto, Proserpina und Protesilaos
Diogenes und Mausolos
Nireus, Thersites und Menippos
Menippos und Cheiron
Diogenes, Antisthenes, Krates und ein Bettler
Menippos und Tiresias
Ajax und Agamemnon
Minos und Sostratos
Erstes Gespräch
Diogenes und Pollux
Diogenes: Mein lieber Pollux, wenn du in die Oberwelt hinaufsteigst - und morgen, denke ich, trifft dich die Reihe,
wieder lebendig zu werden -, so hätte ich dir einen Auftrag an Menippos, den Hund, mitzugeben, den du entweder im
Kraneion zu Korinth oder zu Athen im Lykeion finden wirst, wo er sich über die Zänkereien der Philosophen lustig
macht. Sag' ihm: Diogenes befehle ihm, wenn er die Torheiten, die auf der Erde vorgehen, genug belacht habe, hierher
zu kommen, wo er viel mehr zu lachen finden werde. Denn dort sei er doch öfters unentschlossen, ob er lachen oder
weinen wolle, und es falle ihm doch oft ein, wer weiß, wie es nach diesem Leben geht? Hier aber werde er mit
vollständiger Kenntnis der Sache lachen und gar nicht wieder aufhören können (wie jetzt bei mir der Fall ist),
sonderlich wenn er sehen werde, was für eine armselige Figur die Reichen, die Satrapen und die Könige hier machen,
wie man sie nur noch an ihrem Geheul unterscheiden könne, und wie wehmütig und niederträchtig sie sich gebärden,
wenn sie sich ihres Zustandes da oben erinnern. Sag' ihm das, Pollux; und er möchte nicht vergessen, seine Taschen mit
Wolfsbohnen anzufüllen, und wenn er etwa im Herabkommen ein Hekatemahl oder ein Reinigungsei auf einem
Scheidewege finde, soll er es gleichfalls zu sich stecken.
Pollux: Ich will nicht ermangeln, Diogenes. Aber, damit ich ihn nicht etwa verfehle, wie sieht er aus?
Diogenes: Alt, kahlköpfig, trägt einen abgeschabten Mantel, der gegen alle Winde Öffnungen in Menge hat und mit
Lappen in allen möglichen Farben geflickt ist; er lacht unaufhörlich, und meistens sind die Windbeutel, die
Philosophen, der Gegenstand seines Spottes.
Pollux: Vermittelst dieser Beschreibung werd' ich ihn leicht finden.
Diogenes: Dürft' ich dich auch noch mit einem kleinen Auftrag an die besagten Philosophen selbst beschweren?
Pollux: Herzlich gerne, sage nur!
Diogenes: Um es kurz zusammenzufassen: Leg' es ihnen recht nahe, daß sie doch endlich einmal aufhören sollen, die
Zeit mit Possen zu verderben, sich über die Universalien zu zanken, einander Hörner aufzupflanzen, Krokodile zu
machen und junge Leute auf dergleichen läppische Spitzfindigkeiten Wert legen zu lehren.
Pollux: Aber sie werden sagen, ich sei ein ungelehrter Dummkopf, daß ich mir herausnehme, ihre Weisheit zu
hofmeistern.
Diogenes: So sage du ihnen in meinem Namen, sie sollen - an den Galgen gehen!
Pollux: Ich will alles getreulich ausrichten, Diogenes.
Diogenes: Auch an die Reichen, liebes Polluxchen, hätte ich dir noch ein paar Worte aufzugeben. Sag' ihnen in meinem
Namen: Ihr Narren, wofür hütet ihr euer Gold? Was plagt ihr euch mit Ausrechnung eurer Zinsen, und wozu häuft ihr
Tausende auf Tausende an, da ihr doch in kurzem mit einem einzigen Obolus im Munde ins Reich der Toten wandern
müßt?
Pollux: Gut! Es soll ihnen gesagt werden.
Diogenes: Und den Schönen und Starken, dem Megillos von Korinth und dem Ringer Damoxenos, sage: Es gäbe bei
uns weder gelbes Haar noch schwarze blitzende Augen, noch blühende Gesichtsfarbe, noch straffe Sehnen und breite
Schultern mehr, sondern nichts als kahle Schädel, die einander der Schönheit halber nichts vorzuwerfen haben.
Pollux: Auch diesen Auftrag will ich mich nicht verdrießen lassen.
Diogenes: Und den Armen, unter denen so viele sich gar nicht darein finden können und immer über ihre Dürftigkeit
wehklagen, sage, sie sollen dem Winseln und Heulen ein Ende machen, und erzähle ihnen, wie hier alle gleichen
Standes sind, und sie würden sehen, daß die dortigen Reichen bei uns hier keine Vorzüge haben. Und deine
Lakedämonier schilt, wenn du willst, in meinem Namen aus, daß sie nicht mehr sind, was sie ehmals waren.
Pollux: Nichts gegen die Lakedämonier, Diogenes, das leid' ich nicht! Was du mir an die anderen aufgetragen hast, das
will ich ihnen hinterbringen.
Zweites Gespräch
Menippos, Krösus, Midas und Sardanapal, seine Ankläger, Pluto
Krösus: Pluto, wir dulden diesen hündischen Kerl, diesen Menippos, nicht länger neben uns; also, entweder schaffe ihn
fort, oder wir sind genötiget, uns um einen anderen Aufenthalt umzusehen.
Pluto: Was kann er euch denn Böses tun, da er ebenso tot ist als ihr?
Krösus: Wenn wir Könige beisammen sitzen und uns der Dinge da oben erinnern, Midas seines Goldes, Sardanapal
seiner Wollüste und ich meiner Schatzkammern, und es uns dann aufs Herz fällt und wir uns durch Jammern und
Stöhnen zu erleichtern suchen, so kommt der Kerl und lacht uns zu allem unserem Elend noch aus und schimpft uns
Sklaven und Taugenichtse; zuweilen stört er uns noch gar durch Singen in unserer Wehklage - mit einem Worte, er ist
uns beschwerlich.
Pluto: Was muß ich da hören, Menippos?
Menippos: Die lautere Wahrheit, Pluto: Ich hasse sie als unedle, nichtswürdige Gesellen, die, nicht zufrieden, übel
gelebt zu haben, es sogar nach ihrem Tode noch so forttreiben möchten und deswegen immer an das, was sie da oben
gewesen sind, denken. Ich habe also meine Freude dran, wenn ich ihnen Verdruß machen kann.
Pluto: Das solltest du aber nicht! Die armen Leute haben alle Ursache, traurig zu sein; was sie zurücklassen mußten,
sind keine Kleinigkeiten!
Menippos: Wie, Pluto? Faselst du auch, daß du ihr albernes Gewinsel noch gar billigst?
Pluto: Das tue ich nicht, aber ich will keinen Aufruhr unter euch haben! (Er geht ab.)
Menippos: Höret also, ihr Nichtswürdigsten unter allen Lydiern, Phrygiern und Assyrern, und laßt es euch gesagt sein,
daß ich nicht von euch ablassen werde. Geht wohin ihr wollt, ich werd' euch folgen, um euch zu quälen, euch um die
Ohren zu singen und euch auszulachen.
Krösus: Ist das nicht ein unleidlicher Übermut?
Menippos: Nein! Aber das war unleidlicher Übermut, da ihr euch auf den Knien verehren ließet und freigebornen
Menschen schnöde begegnetet und an den Tod so wenig dachtet, als ob es ewig so fortgehen müßte. Nun, da ihr alles
dessen beraubt seid, heult ihr.
Krösus: O Götter, wie vieler und großer Besitzungen!
Midas: Welcher Berge von Gold!
Sardanapal: Welcher ausgesuchten Wollüste!
Menippos: Bravo! Nur zu geheult! An mir soll es nicht fehlen, euch das goldene Gnothi Seauton fleißig und unermüdet
entgegen zu singen; es tut eine treffliche Wirkung, wenn es von euren ewigen Achs und Ohs begleitet wird.
Drittes Gespräch
Menippos, Amphilochos, Trophonios
Menippos: Ich möchte doch wohl wissen, Amphilochos und Trophonios, wie ihr beide, da ihr doch Tote seid wie wir
andern, zu der Ehre kommt, Tempel auf der Oberwelt zu haben und für Propheten zu passieren, und wie die albernen
Menschen sich einbilden können, ihr wäret Götter?
Trophonios: Was können wir dafür, wenn die Narren in ihrem Unverstand von toten Menschen solche Meinungen
hegen?
Menippos: Aber sie würden keine solchen Meinungen hegen, wenn ihr nicht bei euren Lebzeiten solche Betrügereien
gespielt und euch für Leute ausgegeben hättet, die das Künftige vorhersehen und den Fragenden vorhersagen könnten.
Trophonios: Amphilochos wird sich ohne Zweifel für seinen Anteil zu verantworten wissen. Ich, mein guter Menippos,
bin ein Heros und weissage denen, die in meine Höhle hinabsteigen. Es scheint wohl, daß du nie zu Lebadeia gewesen
bist, denn du würdest sonst nicht so ungläubig sein?
Menippos: Was du sagst! Wenn ich also nicht nach Lebadeia gehe, mich mit einem leinenen Leibrock lächerlich
ausstaffieren lasse und mit Honigkuchen in beiden Händen durch das enge Mundloch in die dortige Höhle hinabkrieche,
so kann ich nicht wissen, daß du, wie du da vor mir stehst, so tot bist wie wir übrigen und nichts als deine Gaukeleien
vor uns voraushast? - Aber bei allem, was wahrsagt! Was ist ein Heros für ein Ding? Denn bis jetzt hab' ich es nicht
ausfindig machen können.
Trophonios: Aus einem Menschen und aus einem Gott zusammengesetzt.
Menippos: Ha! Ich verstehe! Es ist kein Mensch und ist auch kein Gott, aber es ist beides zugleich! Wo ist nun deine
göttliche Hälfte hingekommen?
Trophonios: Sie erteilt Orakel in Böotien.
Menippos: Ich verstehe nicht allzuwohl, was du damit sagen willst, aber daß du über und über tot bist, da sehe ich sehr
deutlich.
Viertes Gespräch
Merkur und Charon
Merkur: Rechnen wir einmal zusammen, Fährmann, wenn du so gut sein willst, wieviel du mir schuldig bist, damit wir
nicht wieder Streit darüber bekommen!
Charon: Gut, wir wollen rechnen. Es ist immer besser, wenn wir miteinander im reinen sind; wir haben gleich eine
Sorge weniger.
Merkur: Für einen Anker, den du bei mir bestellt hast, zwanzig Groschen.
Charon: Das ist viel Geld!
Merkur: Beim Pluto, ich habe zwanzig bare Groschen für ihn ausgelegt; und für einen neuen Ruderriemen sechzehn
Pfennige.
Charon: Schreibe einundzwanzig Groschen, vier Pfennige.
Merkur: Für eine Nadel, das Segel zu flicken, drei Groschen, vier Pfennige.
Charon: Schreibe sie dazu.
Merkur: Für Wachs, die Ritzen im Kahn zu stopfen, item, für Nägel und für einen Strick, den du gebraucht hast, die
Segelstange am Maste zu befestigen, Summa zwei Groschen, vier Pfennige.
Charon: Schön! Da hast du einmal wohlfeil eingekauft.
Merkur: Das wäre es also, wenn wir nichts vergessen haben. Und wann versprichst du denn zu bezahlen?
Charon: Jetzt, lieber Merkur, ist es unmöglich; sobald uns aber eine Pest oder ein Krieg die Toten haufenweise
zuschicken wird, dann läßt sich schon eher durch einen kleinen Rechnungsfehler am Fahrgeld etwas auf die Seite
bringen.
Merkur: Also bleibt mir nun nichts übrig, als mich hinzusetzen und den armen Sterblichen das Ärgste an den Hals zu
wünschen?
Charon: Es ist einmal nicht anders, Merkur; in Friedenszeiten kommen, wie du siehst, so wenige miteinander an, daß
nicht viel dabei zu gewinnen ist.
Merkur: Es ist doch so besser, wenn ich dir gleich desto länger borgen muß. Indessen muß man gestehen, Charon, daß
sich die Zeiten sehr verändert haben, wenn man die jetzigen Ankömmlinge aus der Oberwelt mit den ehmaligen
vergleicht. Ehmals waren es lauter stattliche und größtenteils mit Blut und Wunden bedeckte Männer, jetzt sind es
beinahe lauter blasse, hagere oder aufgedunsene Siechlinge, die entweder von ihren eigenen Kindern oder Ehweibern
vergiftet oder durch ihre Ausschweifungen und üppige Lebensart vor der Zeit hierher befördert wurden. Und den
meisten, die zu uns kommen, merkt man's an, daß sie einander ihres Geldes halber auf den Dienst gelauert haben.
Charon: Es ist eben auch eine gar zu gute Sache darum!
Merkur: Es wäre mir also wohl nicht zu verdenken, wenn ich meine Schuldforderung an dich ein wenig schärfer
eintriebe?
Fünftes Gespräch
Pluto und Merkur
Pluto: Merkur, kennst du einen gewissen steinalten und steinreichen Eukrates, der keine Kinder, aber dafür
fünfzigtausend gute Freunde hat, die auf seine Erbschaft Jagd machen?
Merkur: Ich kenne ihn sehr gut. Du meinst doch den reichen Sykionier? Und was ist's mit ihm?
Pluto: Ich wünschte, Merkur, daß du ihm zu den neunzig Jahren, die er schon gelebt hat, noch neunzig andere,
womöglich und drüber, zumessen wolltest. Seine Schmarotzer hingegen, den jungen Charinos, den Damon und alle die
übrigen raffe einen nach dem andern weg.
Merkur: Das wird aber unschicklich herauskommen.
Pluto: Ganz und gar nicht! Jedermann wird es sehr billig und gerecht finden. Denn was für eine Ursache haben diese
Burschen, ihm den Tod zu wünschen und seinem Vermögen nachzustellen, da sie ihn gar nichts angehen? Das
Verruchteste dabei ist noch, daß sie, mit solchen Gesinnungen, sich vor den Leuten stellen, als ob sie seine eifrigsten
Verehrer wären, und wenn er krank wird, große Gelübde für sein Leben tun, wiewohl jedermann weiß, was sie
wünschen. Kurz, es ist ein schändliches Pack heuchlerischer Buben, denen ihre Kunstgriffe nicht gelingen sollen. Laß
ihn also unsterblich sein. Sie hingegen sollen ihre Schnäbel vergebens aufgesperrt haben und alle vor ihm
abmarschieren müssen!
Merkur: Was die Spitzbuben für Gesichter schneiden werden, wenn sie sehen, daß sie angeführt sind! Aber Eukrates
versteht sich auch meisterlich darauf, sie zu foppen und bei der Nase herumzuführen! Der alte Schlaukopf stellt sich
immer, als ob ihm der Tod im Nacken sitze, wiewohl er im Grunde eine bessere Gesundheit hat als die jungen Leute,
die sich so voreilig in seine Erbschaft teilen und das glückliche Leben ausrechnen, das sie schon in Händen zu haben
glauben.
Pluto: Eukrates also soll seine alte Haut ablegen und, wie Jolaos, wieder von vorn zu leben anfangen, jene aber ihren
verdienten Lohn erhalten und mitten aus ihren süßen Träumen von Reichtümern und Wollüsten weggerafft werden!
Merkur: Sei deswegen ohne Sorge, Pluto, ich will sie dir alle der Ordnung nach herbeiführen. Es sind ihrer sieben,
wenn ich nicht irre.
Pluto: Tue das! Der Alte soll sie alle vor sich herschicken und aus einem abgelebten Greise wieder zum Jüngling
werden.
Sechstes Gespräch
Terpsion und Pluto
Terpsion: Ist das billig, Pluto, daß ich in meinem dreißigsten Jahre sterben mußte und der neunzigjährige Thukritos
noch immer fortlebt?
Pluto: Sehr billig, mein guter Terpsion, daß ein Mann lebe, der keinem seiner Freunde den Tod wünschet, du hingegen
starbst, weil du jenem unaufhörlich nach dem Leben stelltest und aus Hunger nach seiner Erbschaft seinen Tod kaum
erwarten konntest.
Terpsion: Wie? Gebührt es sich nicht, daß ein alter Mann, der seinen Reichtum nicht mehr genießen kann, abziehe und
jüngeren Leuten Platz mache?
Pluto: Das ist ein ganz neues Gesetz, das du da gibst, Terpsion, und wodurch du einen jeden verurteilst, der seinen
Reichtum nicht mehr zur Wollust brauchen kann. Das Schicksal und die Natur haben es anders verordnet.
Terpsion: So behaupte ich, daß sie was Ungerechtes verordnet haben! Die Einrichtung hätte so getroffen werden sollen,
daß man immer nach dem Alter aus der Welt gehen müßte; der älteste zuerst, dann der nächste nach ihm, und so weiter;
nicht umgekehrt, daß ein steinalter Greis, der kaum noch drei Zähne im Munde hat, beinahe aller Sinne beraubt ist und
sich mit Hilfe von vier Bedienten kaum noch von einem Stuhle zum andern fortschleppen kann, kurz, der ein Spott der
Kinder und ein lebendiges Grabmal ist, daß so einer immer noch fortlebe, die schönsten und gesündesten jungen
Männer hingegen sterben müssen, welches ebenso widersinnig ist, als wenn die Ströme rückwärts zu ihrer Quelle
liefen. Wenigstens sollte man die Zeit eigentlich wissen können, wann ein solcher Alter sterben wird, damit man sich
danach richten könnte und ihnen nicht vergebens die Cour machte. Hingegen so wie es jetzt ist, muß oft, wie das
Sprichwort sagt, der Wagen den Ochsen ziehen.
Pluto: Das alles, mein guter Terpsion, hat das Schicksal verständiger eingerichtet, als du dir einbildest. Und am Ende,
wer heißt euch, so gierig nach anderer Vermögen schnappen und euch von kinderlosen Greisen alles gefallen lassen, in
Hoffnung, ihre Erben zu werden? Billig werdet ihr dann ausgelacht, wenn sie euch begraben, und sooft so etwas
begegnet, verursacht es immer eine allgemeine Freude. Je ungeduldiger ihr auf jener ihren Tod geharret habt, je
angenehmer ist es allen Leuten, wenn ihr vor ihnen sterbet. Ihr habt da wahrlich eine ganz neue Kunst erfunden, euch in
alte Weiber und Greise zu verlieben, - die keine Kinder haben, versteht sich; denn dieser Umstand gehört dazu, wenn
ihr sie liebenswürdig finden sollt. Daher sind auch manche unter ihnen, weil sie das Hinterlistige in eurer Liebe merken,
schlau genug, List mit List zu bezahlen, und stellen sich, um auch Liebhaber zu bekommen, als ob sie ihre Kinder nicht
leiden könnten. Aber wenn es zum Testamentmachen kommt, werden die eigennützigen Augendiener doch
ausgeschlossen, die Natur behält wie billig die Oberhand, und jene beißen die Zähne zusammen und werden zu ihrem
Schaden noch ausgelacht.
Terpsion: Was du sagst, ist nur allzuwahr. Wieviel hat nicht der alte Thukritos von mir erbeutet, während er immer
seinem Ende nahe schien, und, sobald ich in sein Zimmer trat, zu ächzen und aus dem innersten heraus, wie ein eben
aus dem Ei gekrochenes Küchlein, zu piepen anfing! In der festen Überzeugung also, daß er den einen Fuß schon im
Grabe habe, glaubte ich ihm nie genug schicken zu können, damit ich ja nicht von meinen Nebenbuhlern an Größe der
Präsente übertroffen würde. Die Sorge, das alles auszurechnen und anzuordnen, machte mir manche schlaflose Nacht,
ja, ich bin gewiß, daß beides die Ursache meines Todes gewesen ist, und der alte Sünder, der eine solche Menge
Lockspeise auf meine Kosten verschlungen hat, stand dabei, da ich gestern begraben wurde, und lachte in seinen Bart
hinein!
Pluto: Bravo, alter Thukritos, lebe so lange als menschenmöglich und sei reich und lache über die wackern Leute, die
dich so gerne beerben möchten! Stirb mir ja nicht, ehe du alle deine Anbeter vorangeschickt hast!
Terpsion: Auch mir kann jetzt nichts Angenehmers mehr begegnen, als wenn Chariades auch vor dem Alten sterben
müßte.
Pluto: Verlaß dich darauf, Terpsion! Auch Pheidon und Melantos und alle übrigen sollen ihm zuvorkommen und von
eben denselben Sorgen hierher gebracht werden wie du!
Terpsion: Das freut mich! Es lebe Thukritos!
Siebentes Gespräch
Zenophantes und Kallidemidas
Zenophantes: Oho! Wie treffen wir hier zusammen, Kallidemidas? Was begegnete dir, daß du so frühzeitig fort
mußtest? Denn, daß ich an einer Unverdaulichkeit gestorben, die ich mir an der Tafel des Deinias, dessen Mitesser ich
war, zugezogen, ist dir bekannt, weil du bei meinem Tode gegenwärtig warst.
Kallidemidas: An dem meinigen ist ein Zufall schuld, dessen ich mich weniger versehen konnte. Du kennest doch den
alten Ptöodoros?
Zenophantes: Den kinderlosen Reichen, mit dem du so vielen Umgang hattest?
Kallidemidas: Ich wartete ihm lange fleißig auf, weil er mir Hoffnung machte, bald abzufahren und mich zum Erben zu
hinterlassen. Weil sich die Sache aber in die Länge zog und der alte Kerl sich anschickte, den Tithonos selbst zu
überleben, so machte ich einen Schleifweg zu seiner Erbschaft ausfindig. Ich kaufte Gift und bestach seinen
Mundschenken, bei der ersten Gelegenheit, wo Ptöodoros (der ein ziemlich herzhafter Trinker ist) einen voll
eingeschenkten Becher fordern würde, das Gift unter seinen Wein zu mischen.
Zenophantes: Und wie ging's weiter? Du scheinst was Außerordentliches auf der Zunge zu haben.
Kallidemidas: Einmal, als wir beide aus dem Bade ins Speisezimmer traten, hatte der Mundschenk schon zwei volle
Becher bereit, einen mit dem Gifte für den Ptöodoros und einen unvergifteten für mich. Ich weiß aber nicht, wie es kam,
daß er sich vergriff und den vergifteten Becher mir darreichte, so daß der Alte den seinigen ohne Schaden ausleerte, ich
hingegen auf der Stelle zu Boden sank und an seiner Statt ins Reich der Toten wandern mußte. Aber was ist dir denn,
Zenophantes, daß du ein solches Gelächter aufschlägst? Es ist nicht hübsch, einen Freund unter solchen Umständen
noch auszulachen.
Zenophantes: Der Zufall ist gar zu lustig, lieber Kallidemidas! Aber was sagte denn dein Alter dazu?
Kallidemidas: Anfangs erschrak er freilich über einen so unerwarteten Fall; da er aber vermutlich bald klar in der Sache
sah, fand er den Verstoß seines Mundschenken wenigstens ebenso lustig wie du.
Zenophantes: Du hättest den Schleifweg müßig gehen sollen, guter Freund! Auf der Landstraße wäre dir die Erbschaft
etwas langsamer, aber desto sicherer zugekommen.
Achtes Gespräch
Knemon und Damnippos
Knemon(zu sich selbst): Verzweifelt! Da ging mir's gerade wie das Sprichwort sagt: Das Hirschkalb erwischt den
Löwen.
Damnippos: Warum so unmutig, Knemon?
Knemon: Warum ich unmutig bin, fragst du? Darüber, daß ich Dummkopf mich überlisten ließ und mir, zum Nachteil
derjenigen, denen ich das Meinige am liebsten gegönnet hätte, einen Erben wider Willen gab.
Damnippos: Wie machtest du das?
Knemon: Ich machte dem Hermolaos, dem steinreichen Manne, der keine Kinder hat, die Cour, in Hoffnung, sein Erbe
zu werden, und er schien meine Aufwartung mit Vergnügen anzunehmen. Nun glaubte ich einen gar klugen Streich zu
machen, wenn ich ein Testament öffentlich bekannt werden ließe, worin ich ihn zum Erben meines ganzen Vermögens
einsetzte; denn ich zweifelte nicht, daß er so viel Ehre im Leibe haben würde, zu meinem Vorteil ein gleiches zu tun.
Damnippos: Und er?
Knemon: Was in seinem Testamente steht, weiß ich nicht; denn ich mußte Hals über Kopf aus der Welt, weil ein Dach
auf mich einstürzte. Und nun hat Hermolaos das Meinige wie ein gieriger Hecht, den Köder samt dem Hamen,
hinabgeschluckt.
Damnippos: Und dich selbst, den Fischer, noch obendrein. Du hast also die Falle dir selbst gestellt?
Knemon: Das ist es eben, worüber ich heulen möchte!
Neuntes Gespräch
Simylos und Polystratos
Simylos: Nun, Polystratos, so kommst du doch endlich auch zu uns herab! Wenn mir recht ist, mußt du nahe an hundert
Jahre gelebt haben?
Polystratos: Achtundneunzig, lieber Simylos.
Simylos: Wie hast du denn die dreißig, um die du mich überlebtest, zugebracht? Denn ich starb, da du gegen siebenzig
warst.
Polystratos: Außerordentlich angenehm, wie seltsam dir das auch vorkommen mag.
Simylos: Seltsam genug, daß ein so alter, gebrechlicher und noch obendrein kinderloser Greis so viel Genuß im Leben
gefunden haben soll!
Polystratos: Fürs erste konnte ich alles, was ich wollte, und dann hatte ich alles, was die Sinne nur Angenehmes
verlangen können, die schönsten Knaben und die reizendsten Weiber zu meiner Aufwartung, die kostbarsten Salben, die
edelsten Weine, eine mehr als sizilianische Tafel und so weiter.
Simylos: Das sind mir lauter unbegreifliche Dinge. - Wie ich dich kannte, warst du ein sehr sparsamer Mann.
Polystratos: Alle diese Glückseligkeiten, mußt du wissen, mein trauter Herr, strömten mir unentgeltlich von andern zu.
Mit dem frühesten Morgen war mein Hof schon mit einer Menge von Besuchern erfüllt, und nun wurden mir alle Arten
von Geschenken, das Schönste und Beste, was aus allen Enden der Welt aufzutreiben ist, zugetragen.
Simylos: Du bist also nach meinen Zeiten Fürst worden, Polystratos?
Polystratos: Das nicht, aber ich hatte zehntausend Liebhaber.
Simylos(lachend): Du, in einem solchen Alter, mit vier Zähnen im Munde, Liebhaber?
Polystratos: Beim Jupiter! Und die Ersten Personen der Stadt. Mein Alter, mein Kahlkopf, meine Triefaugen und mein
ewiger Schnupfen hielt sie nicht ab, mir mit unendlichem Vergnügen die Aufwartung zu machen, und glücklich war
der, den ich eines freundlichen Blickes würdigte.
Simylos: Nun, wahrhaftig, so mußt du nur, wie Phaon, die Liebesgöttin aus Chios über die Meerenge geführt und zur
Belohnung, wie er, die Gabe wieder jung und schön und liebenswürdig zu werden, von ihr empfangen haben.
Polystratos: Auch das nicht. So wie ich bin, zog ich alle Herzen an.
Simylos: Du sprichst Rätsel.
Polystratos: Und doch ist nichts gemeiner und alltäglicher als diese Art von Liebe zu reichen unbeerbten Greisen.
Simylos: Ah, mein bewundernswürdiger Herr, nun begreife ich, wo dir die Schönheit saß. Man kann im eigentlichen
Verstande sagen, daß sie dir von der goldenen Venus kam.
Polystratos: Ich versichre dich, Freund, ich hatte keinen kleinen Genuß von meinen Liebhabern, es fehlte wenig, daß sie
mich nicht gar anbeteten. Auch tat ich zuweilen mächtig spröde und schloß manchem die Tür vor der Nase zu, während
daß die wackern Leutchen einander um meinetwillen in die Haare gerieten und in Beeiferung, mir Ehre anzutun, einer
den andern auszustechen suchte.
Simylos: Und wie hast du denn zuletzt über dein Vermögen disponiert?
Polystratos: Öffentlich ließ ich mich soviel verlauten, daß ein jeder von ihnen glauben mußte, ich würde ihn zum Erben
einsetzen, und durch diesen Kunstgriff erhielt ich von ihnen, was ich wollte, aber in meinem Schreibtische war mein
wahres Testament verschlossen, worin ich sie alle mit langen Nasen abziehen ließ.
Simylos: Wer war denn also der Glückliche? Vermutlich ein Geschlechtsverwandter?
Polystratos: Nein, zum Jupiter, sondern einer von meinen Sklaven, ein vor kurzem gekaufter schöner phrygischer
Jüngling.
Simylos: Wie alt, wenn man fragen darf?
Polystratos: Ungefähr zwanzig.
Simylos: Ich verstehe - um seiner Verdienste willen!
Polystratos: Und doch, mit allem dem, daß er ein Ausländer und ein Taugenichts war, verdiente er doch noch eher mein
Erbe zu sein als jene; auch machen ihm, seitdem er im Besitz meiner ganzen Verlassenschaft ist, die Vornehmsten der
Stadt die Cour, und er gilt, trotz seines glattgeschornen Kinnes und seines barbarischen Akzents, soviel, als ob er aus
dem berühmtesten Geschlechte der Ersten Stadt in Griechenland stammte, und wird edler als Kodros, schöner als
Nireus und weiser als Ulysses gescholten.
Simylos: Ei, meinetwegen mag er Gouverneur von Griechenland werden, wenn nur die andern nichts von deiner
Erbschaft bekommen!
Zehntes Gespräch
Charon, Merkur und verschiedene Tote, als Menippos, Charmoleos, Lampichos, Damasias, Krato, ein Soldat, ein
Philosoph und ein Rhetor
Charon: Stille, und hört wie unsere Sachen stehen! Der Nachen ist, wie ihr seht, klein und baufällig und läßt ziemlich
Wasser ein; wenn er sich stark auf eine Seite neigte, so würde er gar umkippen. Nun sind euer so viele auf einmal
angekommen, und ein jeder bringt so viel Gerätschaft mit, daß ich besorge, wenn ihr mit allem euerem Gepäcke
einsteigen wolltet, möcht' es euch sehr gereuen, sonderlich die, die nicht schwimmen können.
Die Toten: Was sollen wir also tun, um eine glückliche Fahrt zu haben?
Charon: Das will ich euch sagen. Ihr müßt alle diese unnötigen Sachen auf dem Ufer zurücklassen und nackend
einsteigen; denn auch so wird euch meine Fähre kaum alle fassen können. Du, Merkur, trage Sorge, keinen passieren zu
lassen, der sich nicht, wie gesagt, seines Gepäckes entladen hat. Stelle dich neben die Schiffsleiter, mustere einen nach
dem anderen, und nötige sie alle, nackend einzusteigen.
Merkur: Ich werde nicht ermangeln. Wer ist der erste da?
Menippos: Ich bin Menippos. Da siehst du, Merkur, daß ich meinen Schnappsack und meinen Stecken in den See
geworfen habe; den Mantel hab' ich zum Glücke nicht mitgebracht.
Merkur: Steig ein, Menippos, edelster der Sterblichen, und setze dich an den ersten und höchsten Platz neben dem
Steuermann, um die Aufsicht über die übrigen zu führen. - Und wem gehört dies Mädchengesicht da? Wer bist du?
Charmoleos: Charmoleos von Megara, der so viele Liebhaber hatte, und dem ein einziger Kuß mit zwei Talenten
bezahlt wurde.
Merkur: So? Leg also deine Schönheit beiseite und deine Lippen mit allen ihren Küssen und das lange Haar und die
Rosen auf den Wangen und dein ganzes glattes Fell dazu! - So recht! So bist du leicht genug zur Reise. Steig ein! - Und
du mit dem Purpurrocke und dem Diadem und der stieren Miene, wer bist du deines Zeichens?
Lampichos: Lampichos, Tyrann von Gela.
Merkur: Warum kommst du denn so schwer beladen, Lampichos?
Lampichos: Wieso, Merkur? Ein Fürst wird doch wohl nicht wie ein Bettler aufgezogen kommen sollen?
Merkur: Der Fürst nicht, aber der Tote. Leg also ab!
Lampichos: Hier sind meine Kostbarkeiten und meine Börse.
Merkur: So wirf auch noch die Aufgeblasenheit und das stolze Herabsehen auf andere weg, denn sie würden die Fähre
sehr belasten, wenn sie mit dir hineinplumpsten.
Lampichos: Wenigstens laß mir mein Diadem und mein Oberkleid.
Merkur: Das geht nicht an, es muß auch fort.
Lampichos: Sei es dann! - Nun, was noch mehr? Du siehst, daß ich alles abgelegt habe.
Merkur: Auch die Grausamkeit, der Unverstand, die Gewalttätigkeit, der Jähzorn und die übrigen Unarten, womit ich
dich noch beladen sehe, das muß alles fort!
Lampichos: Nun bin ich so nackt, als du verlangen kannst.
Merkur: Steig ein! - Und du, dicker Fleischklumpen, wer bist du?
Damasias: Damasias, der Athlet.
Merkur: Ah! Nun erinnere ich mich erst, dich auf den Kampfplätzen schon gesehen zu haben.
Damasias: Ich hoffe, Merkur, du wirst keine Schwierigkeit machen, mich aufzunehmen, da ich nackend bin.
Merkur: Das nennst du nackend sein und bist in eine solche Menge Fleisch eingepackt, daß der Nachen untersinken
müßte, wenn du nur einen Fuß hineinsetztest? Weg damit, und mit allen den Siegeskronen und Ehrenpreisen, die du bei
dir führest.
Damasias: Nun bin ich, wie du siehst, wirklich im ganzen Ernst ausgezogen und um kein Haar schwerer als die anderen
Toten.
Merkur: Je leichter, je besser! Du kannst einsteigen. - Du, mein guter Krato, lege deine Reichtümer, deine
Weichlichkeit und deinen Luxus ab! Weg mit den kostbaren Leichentüchern und dem Stammbaum und den
Ehrenzeichen deiner Voreltern! Kein Wort von deinem Adel und den prächtigen Titeln, die dir die Republik öffentlich
beigelegt haben mag und den Aufschriften deiner Bildsäulen und dem gewaltigen Grabmal, das über dich aufgetürmt
wurde! Die Erinnerung aller dieser Dinge macht nur schwerer.
Krato: Wohl, es soll alles fort, wie sauer mich's ankommt. Was will ich machen?
Merkur: Herr! Was will der eiserne Mann da in voller Waffenrüstung? Wozu schleppst du dich mit diesem
Siegeszeichen?
Soldat: Weil ich mich im Treffen wohl gehalten und gesiegt und vom Staat eine öffentliche Ehrenbezeugung erhalten
habe.
Merkur: Laß dein Siegeszeichen immer auf der Erde! Im Orkus ist Friede, und die Waffen sind dort ganz unbrauchbar. -
Aber dieser Ehrenmann in dem gravitätischen Aufzuge, der so anmaßungsvoll auftritt und die Augbrauen so hoch
hinaufzieht, der mit dem langen Barte dort, wer ist der?
Menippos: Es ist ein Philosoph, Merkur, oder richtiger zu sagen, ein Marktschreier und Windbeutel. Du wirst wohl tun,
ihn auch auszuziehen. Es werden sich gar kuriose Sachen unter seinem großen Mantel finden.
Merkur: Befiehl ihm sich auszuziehen! - Himmel! Was für eine Last von Aufschneiderei, von Unwissenheit, von
Streitsucht, von windiger Einbildung, von unnützen Streitfragen, spitzfindigen Untersuchungen und verwickelten
Spekulationen! Wieviel vergebliche Arbeit! Wieviel Grillen, Schnurrpfeifereien und Mikrologie! - I! Da fällt ja auch
Gold heraus und Wollust und Unzucht und Völlerei und ein ganzer Praß von garstigen Leidenschaften? - Ich sehe alles,
wie gerne du es auch verstecken möchtest. Entlade dich auch des Lügens und der Aufgeblasenheit und der Meinung, als
ob du besser als andere seiest. Wenn du mit allem diesem Plunder einsteigen wolltest, welche fünfzigrudrige Galeere
möchte dich tragen können?
Philosoph: Es ist alles abgelegt, weil du so befiehlst.
Menippos: Laß ihn doch auch seinen Bart von sich tun, Merkur! Er ist so dicht und struppig, daß er wenigstens fünf
Pfund wiegen muß.
Merkur: Wohl erinnert! Er muß auch fort.
Philosoph: Ist ein Barbier da?
Merkur: Menippos soll Charons Zimmeraxt nehmen und ihn, in Ermangelung eines Hackblocks, hier auf der
Schiffsleiter abhacken.
Menippos: Es braucht nicht so viel Umstände; reiche mir die Säge dort - das wird noch lustiger sein.
Merkur: Die Säge tut's auch. - (Menippos sägt ihm den Bart herunter.)
Menippos: Schön! Nun siehst du doch wie ein Mensch aus, da du des böckischen Unrats los bist. - Soll ich auch ein
wenig von den Augenbrauen abnehmen?
Merkur: Allerdings! Denn er sträubt sie ja vor lauter Einbildung, ich weiß nicht worauf, bis über die Stirne empor. -
Nun kannst du einsteigen! Wie? Was soll das? Ich glaube gar, du weinst und fürchtest dich vor der Überfahrt? Steig ein,
sag' ich!
Menippos: Halt! Er hat noch das Schwerste unter der Achsel.
Merkur: Was denn?
Menippos: Die Schmarotzerei, die ihm in seinem Leben was Ehrliches eingetragen hat.
Der Philosoph: Und du, Menippos, wie wär' es, wenn auch du deine ungezäumte Freiheit und dein loses Maul und deine
Sorglosigkeit und Zuversichtlichkeit und das ewige Lachen ablegtest? Denn du bist der einzige von uns allen, der noch
lacht.
Merkur: Das soll er nicht! Das sind lauter Dinge, an denen er nicht schwer trägt, und die uns bei der Überfahrt sehr
wohl zustatten kommen werden. - Ihr, Herr Redmeister, werft den ungeheuren Schwall unnützer Wörter und die
Antithesen, die weitschweifigen Perioden, die Barbarismen und alles übrige weg, was eure Reden so schwerfällig
machte!
Rhetor: Ich gehorche.
Merkur: So wäre denn alles in der Ordnung! (zu Charon) Mache nun den Nachen los - die Schiffsleiter hereingezogen!
Den Anker aufgehoben! Das Segel aufgespannt! Frisch ans Steuerruder, Fährmann, und Glück zur Überfahrt! - Nu?
Was heult ihr, ihr Strohköpfe? Und du besonders, Herr Philosophus, du weinst doch nicht, daß wir dir den Bart
abgekappt haben?
Der Philosoph: Ich weine darüber, daß ich die Seele unsterblich glaubte.
Menippos: Er lügt! Glaube mir, es sind ganz andere Dinge, die ihn anfechten.
Merkur: Und was dann?
Menippos: Daß er nicht mehr an den Tafeln der Reichen schmausen und die Nacht durch, in seine Kapuze versteckt und
von niemand erkannt, in allen H...winkeln die Runde tun und dafür am folgenden Morgen seinen Zuhörern für ihr bares
Geld Tugend predigen kann, - das ärgert ihn!
Philosoph: Du, Menippos, lässest dich's also nicht verdrießen, daß du tot bist.
Menippos: Wie könnt' ich das, da ich dem Tod ungerufen entgegen gegangen bin? Aber während wir hier schwatzen,
läßt sich nicht von der Erde her ein Getöse von vielerlei lauten Stimmen hören?
Merkur: Ja, Menipp, und aus mehr als einer Gegend. Denn zu Gela läuft das Volk auf dem Markte zusammen und läßt
seine Freude über den Tod des Tyrannen Lampichos aus. Sein Weib wird von den Weibern geängstigt, und sogar seine
kleinen Kinder von anderen Kindern, wo sie sich nur blicken lassen, mit einem Hagel von Gassensteinen begrüßt. Zu
Sikyon wird dem Redner Diophantos, der diesem Krato hier die Leichenrede hält, heller Beifall zugeklatscht, und laut
ächzend führt die Mutter des Damasias den Chor der Klageweiber bei seiner Bestattung an. Nur um dich, Menippos,
klagt niemand, und du liegst einsam und ruhig unter freiem Himmel auf der Erde.
Menippos: Nicht so einsam, als du glaubst, Merkur: Es wird nicht lange anstehen, so wirst du die Hunde ganz
erbärmlich über mir zusammen heulen und die Raben mit den Flügeln schlagen hören, wenn sie sich versammeln
werden, mich zu begraben.
Merkur: Du bist ein braver Kerl, Menippos! - Unsere Überfahrt ist nun vorbei. Steigt also aus, ihr andern, und wandert
da geraden Weges dem Gerichte zu! Ich und du, Fährmann, wir gehen zurück, um wieder andere zu holen!
Menippos: Glückliche Reise, Merkur! (zu den übrigen Toten) Wir marschieren vorwärts. - Nu? Worauf wartet ihr?
Gerichtet müssen wir nun einmal werden, dafür hilft nichts; und die Strafen sollen hart sein: Man spricht von
Ixionsrädern, Tityosgeiern und Sisyphossteinen - da wird sich's zeigen, wie ein jeder gelebt hat!
Elftes Gespräch
Krates und Diogenes
Krates: Hast du den reichen Mörichos gekannt, Diogenes, den unermeßlich reichen Korinthier, der immer so viele
Schiffe auf dem Meere hatte, und dessen Vetter Aristeas, ebenfalls ein sehr reicher Mann, der das Homerischeentweder
schaffe du mich fort,
oder ich dich
immer im Munde zu führen pflegte?
Diogenes: Warum fragst du, Krates?
Krates: Höre nur an. Da sie beide von gleichem Alter waren, und jeder den andern gerne beerbt hätte, so machten sie
einander gegenseitig die Cour, daß es eine Lust zu sehen war, und publizierten Testamente, worin Mörichos den
Aristeas und Aristeas hinwieder den Mörichos auf den Fall, daß einer den andern überleben würde, zum Herren seines
ganzen Vermögens hinterließ. Auch die Astrologen, Traumdeuter und Chaldäer-Schüler, ja der pythische Apollo selbst
mischten sich ins Spiel und erkannten den Sieg bald dem Aristeas bald dem Mörichos zu, so daß die Waage immer von
einem zum andern hinüber schwankte.
Diogenes: Und wie kam es denn zuletzt?
Krates: Beide starben an einem und eben demselben Tage, und ihre Güter kamen an ein paar Anverwandte, die sich
nichts weniger als einen solchen Ausgang träumen ließen; denn die beiden Erblasser hatten auf einer Fahrt von Sikyon
nach Kirrha einen Nordwestwind von der Seite bekommen, der ihr Schiff auf den Grund stieß und mit der ganzen
Equipage untergehen machte.
Diogenes: Das machte der Nordwestwind gut! Wir beide, wie wir noch im Leben waren, schmiedeten keine solchen
Anschläge gegeneinander; und sowenig ich dem Antisthenes den Tod wünschte, um seinen Stecken zu erben, wiewohl
es ein tüchtiger Knittel von wildem Ölbaum war, sowenig denke ich, wurde dir die Zeit lang, bis dich mein Tod in den
Besitz meiner Güter setzte, meiner Tonne nämlich und meines Schnappsacks, worin doch wenigstens eine halbe Metze
Wolfsbohnen sein mochten.
Krates: Das kam wohl daher, weil du und ich diese Dinge nicht nötig hatten. Übrigens erbten wir, wie sich's gebührte,
du vom Antisthenes, ich vom Diogenes, was unendlich mehr wert war als das ganze Persische Reich.
Diogenes: Und das war?
Krates: Die Weisheit, die Selbstgenügsamkeit, die Aufrichtigkeit und die Freiheit des Geistes und der Zunge.
Diogenes: Beim Jupiter! Ich erinnere mich, daß ich diesen Schatz vom Antisthenes empfangen und dir noch reichlich
vermehrt hinterlassen habe.
Krates: Indessen legten andere Leute wenig Wert auf diese Güter, und niemand machte uns die Aufwartung, in der
Absicht, sie von uns zu erben. Sie sahen nur immer dahin, wo das meiste Gold war.
Diogenes: Natürlich! Denn wo hätten sie das hintun sollen, was sie von uns bekommen hätten, da sie von Üppigkeit und
Wollust wie alte durchlöcherte Säcke ausliefen? Wenn ihnen auch jemand Weisheit oder Freimütigkeit oder Wahrheit
hätte eingießen wollen, es würde alles gleich wieder durchgefallen und ausgeronnen sein, weil sie keinen Boden hatten,
der es zusammenhalten konnte, wie es den armen Töchtern des Danaos geht, die in ein durchlöchertes Faß Wasser
schöpfen müssen. Das Gold hingegen hielten sie mit Zähnen und Klauen und auf alle nur mögliche Weise fest.
Krates: Dafür aber bleiben wir auch hier im Besitz unseres Reichtums, da sie hingegen von allem ihrem Gelde nichts als
einen Obolus mitbringen, und auch diesen nur für den Fährmann.
Zwölftes Gespräch
Alexander, Hannibal, Scipio und Minos
Alexander: Mir gebührt der Rang vor dir, Afrikaner! Denn ich bin ein größerer Mann als du.
Hannibal: Das ist eben, was ich dir nicht eingestehe.
Alexander: So mag Minos den Ausspruch tun!
Minos: Wer seid ihr denn?
Alexander:Der hier ist Hannibal von Karthago; ich bin Alexander, Philipps Sohn.
Minos: Beim Jupiter, zwei berühmte Namen! Aber worüber entstand denn euer Streit?
Alexander: Über den Vorrang. Dieser da behauptet, ein besserer Feldherr gewesen zu sein als ich. Ich hingegen sage,
daß ich in der Kriegskunst nicht nur ihn, sondern alle, die vor mir gewesen sind, übertroffen habe, wie die ganze Welt
weiß.
Minos: Jeder mag also für seine Sache allein sprechen. Du, Afrikaner, rede zuerst!
Hannibal: Es kommt mir jetzt wohl zustatten, o Minos, daß ich hier Griechisch reden gelernt habe, so daß der Herr da
auch in diesem Stück nichts vor mir voraus hat. Ich setze zum Grunde, daß diejenigen das größte Lob verdienen, die,
wiewohl sie mit nichts anfingen, es dennoch durch sich selbst sehr weit gebracht haben und würdig geachtet worden
sind, mit der höchsten Gewalt bekleidet zu werden. Ich kam mit einem kleinen Gefolge nach Spanien und diente
anfangs unter meinem Bruder, wurde aber bald mit den höchsten Kriegswürden bekleidet, weil man fand, daß ich der
Tüchtigste sei. Ich eroberte hierauf Keltiberien, bezwang die westlichen Gallier, überstieg sodann die großen Gebirge,
die der Po durchströmt, und warf alles zu Boden, was sich mir entgegensetzte, zerstörte eine Menge Städte, unterwarf
mir das flache Land von Italien, drang bis in die Vorstädte der Hauptstadt ein und machte an einem einzigen Tag so
viele Feinde nieder, daß ihre Fingerringe mit Scheffeln gemessen wurden und ihre Leichname zu Brücken über die
Flüsse dienten. Das alles tat ich, ohne mich einen Sohn Ammons nennen zu lassen oder für einen Gott passieren zu
wollen und Träume auf meiner Mutter Unkosten zu erzählen. Aber, wiewohl ich mich für nichts als einen bloßen
Menschen ausgab, nahm ich es doch mit den größten Meistern in der Kriegskunst und mit den streitbarsten Soldaten in
der Welt auf und erhielt meine Siege über keine Medier und Armenier, die schon davonlaufen, ehe sie einen Feind
sehen, der sie jagt, und jedem den Sieg lassen, der sich dessen anmaßen will. Alexander hingegen machte sich eine
plötzliche Laune des Glückes zunutze, um ein angeerbtes Reich zu vergrößern und auszudehnen; aber kaum hatte er bei
Issos und Arbela über den unglücklichen Dareios die Oberhand erhalten, so legte er die Sitten seines Vaterlandes ab,
um sich nach morgenländischer Weise wie ein Gott verehren zu lassen, vertauschte seine vorige Lebensart mit der
weibischen Weichlichkeit der Medier und befleckte entweder mitten unter Gastmählern seine eigenen Hände mit dem
Blute seiner Freunde oder ließ sie in Ketten werfen und hinrichten. Ich hingegen stand meinem Vaterlande vor, ohne
mir mehr Gewalt herauszunehmen, als es mir anvertraute; und da es mich zurückberief, als sich die Feinde mit einer
großen Flotte an unsern Küsten sehen ließen, gehorchte ich augenblicklich, kehrte in den Privatstand zurück und ertrug,
selbst da ich unbillig verurteilt wurde, mein Schicksal mit Gelassenheit. Und dies alles tat ich, ohne die Vorteile der
griechischen Erziehung genossen, ohne den Homer deklamieren gelernt oder einen Aristoteles zum Lehrer der
Philosophie gehabt zu haben, sondern mit bloßer Hilfe einer glücklichen Naturanlage. Dies ist es also, warum ich besser
als Alexander zu sein behaupte. Wenn aber sein Vorzug nur darin bestehen soll, daß er ein Diadem um den Kopf trägt,
so mögen immerhin seine Makedonier Respekt davor tragen, aber wahrlich, um dessentwillen kann er einem tapfern
Feldherrn nicht vorgezogen werden, der dem Glücke wenig und der Klugheit beinahe alles zu danken hat.
Minos: Dieser Hannibal hat wie ein braver Mann, und besser wie man von einem Afrikaner erwarten konnte,
gesprochen. Und du, Alexander, was hast du hierauf zu sagen?
Alexander: Vielleicht schickte sich's besser für mich, einem so übermütigen Großsprecher gar nichts zu antworten; denn
der bloße Ruf muß dich schon hinlänglich belehrt haben, was für ein König ich und was für ein Straßenräuber er
gewesen sei. Gleichwohl will ich es auf dein Urteil ankommen lassen, wieviel oder wenig Vorzug mir vor ihm gebühre.
Ich war noch sehr jung, als ich die Regierung eines von innen und außen erschütterten Reiches antrat. Ich fing sie damit
an, es von allen Seiten zu befestigen, die Mörder meines Vaters zu bestrafen und alle griechischen Freistaaten durch die
Zerstörung von Theben in Schrecken zu setzen; und da ich von ihnen zu ihrem obersten Feldherrn erwählt worden war,
hielt ich es zu klein für mich, mir an meinem makedonischen Erbgut genügen zu lassen. Ich umfaßte mit meinen
Gedanken den ganzen Erdkreis und fühlte, daß es mir unerträglich wäre, unter den Königen nicht der Erste zu sein. In
dieser Gesinnung fiel ich mit einem kleinen Kriegsheer in Asien ein, erkämpfte am Granikos einen großen Sieg, und
nachdem ich mir Lydien, Ionien und Phrygien, und kurz, alles, was ich in meinem Wege fand, unterworfen hatte, kam
ich nach Issos, wo mich Dareios mit mehr Tausenden erwartete, als ich ihm einzelne Männer entgegenzustellen hatte.
Ihr könnt noch nicht vergessen haben, Minos, wieviel Tote ich euch an diesem einzigen Tage zuschickte. Wenigstens
versicherte der Fährmann, sein Nachen habe nicht zugereicht, sondern er habe Flöße zusammenbinden müssen, um den
größten Teil überzusetzen. Bei allen diesen Gelegenheiten war ich immer der erste, der sich jeder Gefahr aussetzte und
Wunden zu empfangen für rühmlich hielt. Und so drang ich (um dich nicht mit dem, was zu Tyros und Arbela geschah,
aufzuhalten) bis zu den Indiern vor, bemächtigte mich ihrer Elefanten, bezwang den Poros und machte den Ozean zur
Grenze meines Reiches; ja, ich ging sogar über den Tanais und schlug die Skythen, ein tapfres Volk, das bloß zu Pferde
zu streiten gewohnt war, in einer großen Schlacht. Ich erwies meinen Freunden Gutes und vergalt meinen Feinden, wie
sie es um mich verdient hatten, und wenn ich den Menschen ein Gott schien, so ist es ihnen zu verzeihen, daß sie um
der Größe meiner Taten willen so etwas von mir glauben konnten. Endlich starb ich als König, dieser hingegen, als ein
aus seinem Vaterlande Verbannter, bei dem Bithynier Prusias einen Tod, der des arglistigsten und grausamsten aller
Menschen würdig war. Durch was für Mittel er in Italien die Oberhand erhielt, will ich übergehen. Gewiß nicht durch
Tapferkeit, sondern durch List, Treulosigkeit und Kniffe, denn in einem regelmäßigen Treffen und in freiem Felde hat
er nie was ausgerichtet. Bei dem Vorwurf der Üppigkeit, den er mir gemacht hat, scheint er Capua vergessen zu haben,
wo der große Mann unter liederlichen Weibsbildern die Früchte seines Sieges und die günstigsten Augenblicke in
trägen Wollüsten verscherzte. Hätte ich nicht, mit Verachtung abendländischer Eroberungen, meine Waffen gegen
Morgen gerichtet, was wäre das wohl Großes gewesen, wenn ich Italien ohne Schwertstreich eingenommen und alle
Völker bis Cadix, ja bis in das Herz von Afrika bezwungen hätte? Aber alle diese Völker, die schon zahm genug waren,
ihren Hals unter das Joch eines einzigen Herren zu beugen, schienen mir nicht würdig, von mir bekämpft zu werden.
Aus vielem andern, was ich sagen könnte, mag dies genug sein. Du, Minos, fälle nun das Urteil.
Scipio: Nicht eher bis du auch mich gehört hast.
Minos: Wer bist denn du, mein schöner Herr, und was für ein Landsmann, daß du dich in diese Händel mischest?
Scipio: Der italienische Feldherr Scipio, der große Siege über Afrika erfocht und Karthago demütigte.
Minos: Und was hast du denn zu sagen?
Scipio: Daß ich mich für geringer als Alexander erkenne, aber besser als Hannibal sei, den ich überwunden und zu einer
schimpflichen Flucht genötigt habe. Wie unverschämt also, daß so einer sich erkühne, Alexandern den Rang streitig zu
machen, mit dem sogar Scipio, sein Überwinder, sich nicht würdig hält, verglichen zu werden.
Minos: Beim Jupiter, du sprichst wie ein billig denkender Mann, Scipio. Ich erkenne also hiemit zu Recht: Alexander
der Erste, du der nächste nach ihm, und Hannibal der Dritte sein soll; denn auch er ist auf keine Weise zu verachten.
Dreizehntes Gespräch
Alexander und Diogenes
Diogenes: Wie, Alexander? Du hast auch sterben müssen wie wir übrigen alle?
Alexander: Wie du siehst, Diogenes. Was ist's denn so besonders, wenn ein Sterblicher stirbt?
Diogenes: Ammon hat also nur Spaß mit uns getrieben, da er dich für seinen Sohn erklärte, und du warst nur Philipps
Sohn?
Alexander: Unstreitig; ich wäre schwerlich gestorben, wenn Ammon mein Vater wäre.
Diogenes: Gleichwohl trug man sich zur Unterstützung dieses Vorgebens mit dem Märchen, deine Mutter Olympias
hätte geheimen Umgang mit einem Drachen gehabt, der Drache sei in ihrem Bette gesehen worden, du seiest die Frucht
davon, und Philippos habe sich irrig für deinen Vater gehalten.
Alexander: Diese Gerüchte sind auch mir zu Ohren gekommen wie dir, aber ich sehe nun, daß an allem, was meine
Mutter und die Priester Ammons sagten, kein wahres Wort war.
Diogenes: Indessen sind dir ihre Lügen bei deinen Unternehmungen wohl zustatten gekommen; denn viele unterwarfen
sich dir bloß, weil sie dich für einen Gott hielten. - Aber sage mir doch, wem hinterließest du das ungeheure Reich, das
dir so viele Mühe kostete?
Alexander: Das weiß ich selbst nicht, mein guter Diogenes, ich hatte nichts darüber verordnet, außer daß ich in den
letzten Zügen dem Perdikkas meinen Siegelring übergab. - Worüber lachst du, Diogenes?
Diogenes: Worüber sollt' ich lachen, als weil mir, indem ich dich so ansehe, alle die Sottisen einfallen, die unsere
Griechen dir zu gefallen gemacht haben; wie sie dir vom Antritt deiner Regierung an schmeichelten, dich zu ihrem
obersten Feldherrn gegen die Barbaren erwählten, einige dich gar den zwölf großen Göttern beigesellten und dem
vermeintlichen Drachensohne Tempel aufbauten und Opfer brachten. Aber, mit Erlaubnis, wo begruben dich die
Makedonier?
Alexander: Es ist heute der dritte Tag, daß ich noch immer zu Babylon auf der Parade liege. Indessen verspricht mein
Trabantenhauptmann Ptolemäos, sobald ihm die derzeitigen Verwirrungen einige Muße gönnen würden, mich nach
Ägypten abzuführen und dort zu begraben, um mir einen Platz unter den ägyptischen Göttern zu verschaffen.
Diogenes: Und ich soll nicht lachen, Alexander, da ich sehe, daß du sogar im Totenreiche noch so albern bist und ein
Anubis oder Osiris werden möchtest? Aber schmeichle dir mit keinen solchen Hoffnungen, mein göttlicher Herr! Wer
einmal unsern See passiert hat und in das Innere der Mündung des Tartaros gekommen ist, kommt nicht wieder heraus.
Aiakos gibt zu genau acht, und mit dem Zerberus ist auch nicht zu scherzen. Aber wird dir nicht wunderlich zumute,
wenn du dich umsiehest, wo alle die Trabanten und Satrapen und alle die Schätze und die auf den Knien liegenden
Völker und die großen Babylon und Baktra mit allen den Elefanten hingekommen sind? - Und der hohe Triumphwagen,
worauf du wie ein Meteor glänztest und angestaunt wurdest? Und das königliche Diadem um den Kopf und der in
weiten Falten herabwallende Purpur? Kurz, wenn du all das herrliche Leben und die Hoheit und den Ruhm bedenkst,
die du zurücklassen mußtest? Das mag wohl schmerzen! - Was weinst du, alberner Mensch? Lehrte dich denn dein
weiser Aristoteles nicht, wie unzuverlässig alle die Glücksgeschenke sind?
Alexander: O, gerade dieser Weise, wie du ihn nennst, war der heilloseste unter allen meinen Schmeichlern! Mich allein
laß sagen, was Aristoteles gewesen ist! Denn ich weiß am besten, wieviel er immer von mir haben wollte, was für
Briefe er mir schrieb, wie er meine ruhmsüchtige Wißbegierde mißbrauchte, mir immer nach dem Munde redete und
mich bald wegen meiner Schönheit (als ob auch diese unter die wahren Götter gehörte) bald wegen meiner Taten und
meiner Reichtümer erhob; denn sogar den Reichtum erklärte er für ein wahres Gut, um sich nicht schämen zu müssen,
daß er selbst soviel von mir annahm. Mein guter Diogenes, der Kerl war ein Scharlatan, der seine Rolle meisterlich zu
spielen wußte, kein Weiser! Der ganze Vorteil, den ich von seiner Weisheit habe, ist, daß ich mich jetzt über den
Verlust aller der Dinge, die du herzähltest, gräme, weil er mich gelehrt hatte, sie für die größten Güter anzusehen.
Diogenes: Weißt du was? Weil doch hier keine Nieswurz wächst, will ich dir ein ander Mittel gegen deinen Gram
vorschlagen. Geh an den Lethe und tu etliche tüchtige Züge aus seinem Wasser. Dies wird dich unfehlbar gegen den
Verlust der Aristotelischen Güter unempfindlich machen. - Aber seh' ich nicht den Kleitos und Kallisthenes und eine
Menge anderer mit solcher Wut auf dich daher stürmen, als ob sie das Vergeltungsrecht an dir ausüben und dich für
alles, was sie einst von dir erlitten, in Stücke zerreißen wollten? Schlage also lieber diesen andern Weg zum Lethe ein
und, wie gesagt, trinke bis dir die Grillen vergehen!
Vierzehntes Gespräch
Alexander und Philippos
Philippos: Nun, Alexander, da du tot bist, wirst du doch wohl nicht leugnen, daß du mein Sohn bist; denn Ammons
Sohn würde nicht gestorben sein.
Alexander: Auch zweifelte ich nie daran, daß Philippos mein Vater und Amyntas mein Ahnherr gewesen seien; ich ließ
mir das Orakel bloß gefallen, weil es mir zu meinen Unternehmungen nützlich war.
Philippos: Wie? Was für einen Nutzen konntest du davon haben, wenn du dich wissentlich von Pfaffen betrügen
ließest?
Alexander: Das ist nicht, was ich sagen will, aber die barbarischen Völker, mit denen ich's zu tun hatte, wurden dadurch
betäubt und verloren den Mut, dem vermeinten Gott zu widerstehen, so daß es mir ein leichtes war, Meister über sie zu
werden.
Philippos: Dafür hast du aber auch von deinen so leichten Siegen über all das feigherzige, schlecht bewaffnete und
hinter großen aus Weiden geflochtenen Schilden versteckte Gesindel wenig Ehre. Wenn du Griechen zu bekämpfen
gehabt hättest, wenn du, wie ich, mit den Phokäern, Böotiern und Athenern, mit schwerbewaffnetem arkadischen
Fußvolk, mit thessalischer Reiterei, mit eleischen Akontisten und mantineischen Peltasten, mit Thrakiern, Illyriern und
Päoniern dich hättest messen müssen, da möchtest du immer glauben, was Großes geleistet zu haben. Aber diese
Medier, Perser, Chaldäer, diese weichlichen, mit ihren goldenen Rüstungen mehr geschmückten als gewappneten
Menschen -, weißt du nicht, daß sie schon lange vor dir von den zehntausend Griechen, die mit Klearchos ausgezogen
waren, überwunden wurden und nicht einmal Mut genug hatten, mit einem so kleinen Haufen, sobald er Stand gegen sie
hielt, handgemein zu werden, sondern schon davonliefen, ehe noch die Pfeile der Griechen sie erreichen konnten?
Alexander: Ich sollte doch meinen, Herr Vater, die Skythen und die Elefanten der Indier wären keine so gar
verächtlichen Gegner. Auch wird mir erlaubt sein zu bemerken, daß ich fertig mit ihnen geworden bin, ohne zu
schlechten Künsten meine Zuflucht zu nehmen; daß ich sie weder gegeneinander aufgehetzt noch meine Siege von
Verrätern erkauft, noch falsche Eide geschworen, noch mein gegebenes Wort gebrochen, oder sonst meines Vorteils
halber eine Treulosigkeit begangen habe. Übrigens gereicht es mir vielmehr zur Ehre als zur Schande, daß ich die
Griechen größtenteils ohne Blutvergießen auf meine Seite gebracht, und wie ich die Thebaner züchtigte, kannst du
vermutlich gehört haben.
Philippos: Ich weiß das alles. Ich hörte es von eben dem Kleitos, dem du über der Tafel eine Hellebarde in den Leib
stießest, weil er, bei einer vorgefallenen Vergleichung deiner Taten mit den meinigen, das Herz gehabt hatte, mir den
Vorzug zu geben. Man sagt sogar, du habest den makedonischen Waffenrock abgeworfen und dafür den persischen
Kaftan angezogen, den hohen Turban aufgesetzt und den edlen freigebornen Makedoniern zugemutet, sich nach
morgenländischer Weise vor dir auf die Erde zu werfen; und, was noch das lächerlichste von allem ist, du äfftest sogar
die Sitten der Überwundenen nach. Von deinen übrigen Taten, als zum Exempel, daß du gelehrte Männer zu Löwen
eingesperrt und von deinen rühmlichen Vermählungen und von deiner unmäßigen Liebe zu Hephästion will ich lieber
gar nichts sagen. Das einzige gefiel mir, daß du dich, wie ich hörte, der Gemahlin des Dareios, ungeachtet ihrer großen
Schönheit, enthalten und für seine Mutter und Töchter Sorge getragen hast.
Alexander: Du findest also nichts Lobenswürdiges an meiner Liebe zu gefährlichen Abenteuern, und daß ich zum
Exempel der erste war, der von den Mauern der Oxydrakier in die Stadt sprang, und daß ich mich in den Fall setzte, so
oft verwundet zu werden?
Philippos: Nein, Alexander! Nicht als ob ich es nicht für schön hielte, wenn auch ein König, um seinem Heer ein
Beispiel zu geben, sich zuweilen der Gefahr zuerst aussetzt und rühmliche Wunden davonträgt, sondern weil es sich
gerade für dich am wenigsten schickte. Denn da du für einen Gott passiertest, mußtest du nicht, wenn man dich
verwundet, blutend und ächzend aus der Schlacht wegtragen sah, in den Augen der Zuschauer lächerlich, Ammon als
ein überwiesener Betrüger und Lügenprophet und seine Priester als offenbare Schmeichler erfunden werden? Denn wer
sollte nicht lachen, wenn er einen Sohn Jupiters in Ohnmacht fallen und der Ärzte Hilfe bedürfen sieht? Und nun, da du
vollends gar gestorben bist, meinst du nicht, daß eine Menge Leute über diese Mummerei bitterlich spotten werden,
wenn sie den Leichnam des Gottes wie einen Klotz daliegen und so gut wie alle anderen Körper in Fäulnis und
Verwesung gehen sehen? Nichts davon zu sagen, daß der vermeinte Nutzen dieses Betrugs, nämlich deine
Unternehmungen dadurch zu erleichtern, vielmehr dem Ruhm deiner Taten nachteilig gewesen ist; denn alles, was du
tun mochtest, war immer noch weniger, als was man von einem Gott erwarten konnte.
Alexander: Gleichwohl denken die Menschen nicht so von mir, sondern vergleichen mich mit Bacchus und Herkules;
auch bin ich in der Tat der einzige, der jenen den Vögeln selbst unerreichbaren Felsen, den keiner von diesen beiden
ersteigen konnte, erobert hat.
Philippos: Wie? Du fällst ja auf einmal wieder in den Ton von Ammons Sohn? Schämst du dich nicht, Alexander, dich
mit Herkules und Bacchus zu vergleichen? Und wirst du dir nicht endlich einmal diesen übermütigen Schwulst
abgewöhnen, dich selbst kennenlernen und dir bewußt werden, daß du ein Toter bist?
Fünfzehntes Gespräch
Achilles und Antilochos
Antilochos: Achilles, was du neulich zum Ulysses über den Tod sagtest, ist doch wahrlich des Zöglings eines Cheiron
und Phönix sehr unwürdig. Ich hörte dich sagen, du wolltest lieber auf der Oberwelt Taglöhner bei einem armen
Manne, der sich selbst kümmerlich behelfen müßte, sein, als König über alle Toten. Wenn irgendein unedler
feigherziger Phrygier so gesprochen hätte, so wäre nichts darüber zu sagen, aber daß der Sohn des Peleus, daß ein Held,
der einst mehr als irgendein anderer in die gefährlichsten Abenteuer verliebt war, so niedrig von sich selbst denken soll,
ist große Schande und widerspricht geradezu allem, was du im Leben getan hast. Denn es stand ja nur bei dir, eine lange
Reihe von Jahren in unbekannter Ruhe unter deinen Phtioten den König zu spielen, und freiwillig erwähltest du einen
frühzeitigen aber ruhmvollen Tod.
Achilles: O Sohn des weisen Nestor, damals, da ich diese armselige Schimäre Ruhm höher als das Leben schätzte, hatte
ich noch nicht erfahren, wie es hier steht, wußte noch nicht, welches von beiden das bessere sei. Jetzt aber weiß ich, wie
so gar nichts dieser Ruhm uns nützen kann, was auch die Leute da oben davon rhapsodieren. Unter den Toten gilt einer
was der andere, lieber Antilochos! Schönheit und Stärke sind dahin! Wir alle liegen unter eben demselben Dunkel, ohne
den geringsten Unterschied und Vorzug. Die trojanischen Toten fürchten mich so wenig als die griechischen mich
ehren. Hier herrscht die vollkommenste Gleichheit, der bravste und der schlechteste Mann ist einer so tot als der andere.
Das ist's, was mich schmerzt und warum ich mich ärgere, daß ich nicht ein Taglöhner bin und lebe.
Antilochos: Aber was ist zu machen, lieber Achilles? Die Natur hat nun einmal für gut befunden, daß wir alle sterben
müssen; es bleibt also nichts übrig, als uns dem Gesetz ohne Murren zu unterwerfen. Zudem siehst du ja, wie viele von
uns, deine ehemaligen Kameraden, du bereits um dich hast; und auch Ulysses wird in kurzem anlangen. Es ist doch
immer ein Trost, Gefährten im Leiden zu haben und zu sehen, daß es andern nicht besser geht als uns. Sind nicht auch
Herkules und Meleager und andere große Männer von diesem Schlag hier, von denen gewiß keiner ins Leben
zurückkehren möchte, wenn man sie hinaufschicken wollte, um bei armen Schluckern, die selbst nichts zu leben haben,
um Taglohn zu arbeiten.
Achilles: Ich erkenne in diesem Zuspruch die gute Meinung eines alten Kameraden, aber, es mag nun damit sein, wie es
will, die Erinnerung alles dessen, was ich mit dem Leben verloren habe, quält mich, und ich bin gewiß, es ist keiner
unter euch, dem nicht ebenso zumute wäre. Wenn ihr es nicht gesteht, seid ihr nur um so viel schlimmer daran, daß ihr
euch in der Stille abhärmt.
Antilochos: Keineswegs, Achilles, sondern um so viel besser! Wir sehen, daß alles Klagen uns nun einmal nichts helfen
kann. Wir wollen also lieber schweigen und dulden, als uns durch solche Wünsche wie der deinige lächerlich machen.
Sechzehntes Gespräch
Diogenes und Herkules
Diogenes: Sollte das nicht Herkules sein? Beim Herkules! Er ist's und kein anderer! Es ist sein Bogen, seine Keule,
seine Löwenhaut, seine Statur. Aber wie kann der Sohn Jupiters gestorben sein? - Mit Erlaubnis, o du Sieger der
schönsten Siege, sei so gut und sage mir, ob du tot bist. Als ich noch im Leben war, opferte ich dir als einem Gott.
Herkules: Und daran tatest du sehr recht; denn der wahre Herkules
lebt bei den Göttern im Himmel und herzt die schönfüßige Hebe.
Ich bin nur seine Gestalt.
Diogenes: Wie verstehst du das, die Gestalt des Gottes Herkules? Und wie ist es möglich, daß einer zur einen Hälfte ein
Gott und zur anderen gestorben sein könnte?
Herkules: Sehr möglich! Denn nicht er ist gestorben, sondern nur ich, sein Bild.
Diogenes: Ich verstehe: Er hat dem Pluto statt seiner einen andern Mann gestellt, und der bist du? Du bist, sozusagen, in
seinem Namen tot?
Herkules: So ungefähr.
Diogenes: Aber Aiakos ist sonst ein Mann, der es sehr genau nimmt: Wie kam es, daß er den Betrug nicht merkte und
einen untergeschobenen Herkules für den Wahren passieren ließ?
Herkules: Das kam daher, weil ich ihm vollkommen ähnlich bin.
Diogenes: Da hast du recht; so vollkommen ähnlich, daß du er selbst sein könntest. Nimm dich in acht, es könnte sich
gerade umgekehrt verhalten, nämlich, daß du Herkules wärest, und deine Gestalt hätte die schöne Hebe bei den Göttern
geheiratet.
Herkules: Du bist ein naseweiser Bursche und ein Witzling! Wenn du nicht gleich aufhörst zu spotten, so sollst du auf
der Stelle fühlen, wer der Gott ist, dessen Gestalt ich bin!
Diogenes: Ich sehe, daß du schußfertig bist, aber was könnt' ich von dir zu fürchten haben, da ich einmal tot bin? Aber
sage mir, ich beschwöre dich bei deinem Herkules, wie er noch am Leben war, warest du, seine Gestalt, auch bei ihm?
Oder machtet ihr im Leben nur eine Person aus und trenntet euch erst im Tode? Er nämlich flog zu den Göttern auf, und
du, seine Gestalt, wandertest, wie billig, in die Unterwelt.
Herkules: Ich sollte mich mit so einem mutwilligen Schikanenmacher gar nicht eingelassen haben: Ich will dir aber
gleichwohl so viel sagen: Alles was an Herkules vom Amphitryon war, das starb, und dies alles bin ich; was aber vom
Jupiter war, das ist im Himmel bei den Göttern.
Diogenes: Nun geht mir ein Licht auf. Alkmene hat zu gleicher Zeit zwei Herkulesse geboren, einen vom Amphitryon
und einen vom Jupiter: Ihr waret also eigentlich Zwillinge, von verschiedenen Vätern und einer Mutter; und das war es,
was man bisher noch nicht gewußt hat.
Herkules: Mitnichten, Dummkopf! Wir beide machten ihn selbst, den einzigen Herkules, aus.
Diogenes: Das ist eben nicht so leicht zu begreifen, wie zwei Herkulesse so zusammengesetzt werden konnten, daß sie
nur einen ausmachten; ihr müßtet denn nur eine Art Zentaur gewesen sein, ein Mensch und ein Gott in ein Wesen
zusammengewachsen.
Herkules: Siehst du denn nicht, daß alle Menschen auf die nämliche Art aus zwei Stücken, Seele und Leib,
zusammengesetzt sind? Wo sollte denn also das Hindernis liegen, daß die Seele nicht im Himmel sei, und ich, der
sterbliche Teil, unter den Toten?
Diogenes: Das wäre recht schön, edler Amphitryoniade, wenn du ein Körper wärest: So aber bist du ja nichts weiter als
eine unkörperliche Gestalt. Wie ich merke, wirst du am Ende noch gar einen dreifaltigen Herkules herausbringen.
Herkules: Und warum einen dreifaltigen?
Diogenes: So etwa: Einer davon ist im Himmel; du, die Gestalt, bist bei uns; und der Körper verbrannte auf dem Oita zu
Asche: Das macht doch, sollt' ich meinen, drei? Du magst also sehen, wo du einen dritten Vater für den Körper
hernehmen willst.
Herkules: Das ist ein kecker sophistischer Bursche! - Und wer bist denn du deines Zeichens?
Diogenes: Die Gestalt des Diogenes von Sinope; ich selbst aber gehe, beim Jupiter! zwar nicht mit den unsterblichen
Göttern, aber doch mit den Besten der Toten um, und mokiere mich über Homer und über alle solche
Schnurrpfeifereien!
Siebzehntes Gespräch
Menippos und Tantalos
Menippos: Was heulst du, Tantalos? Warum stehst du so am Teiche und bejammerst dich selbst?
Tantalos: Weil ich vor Durst verschmachte, lieber Menippos.
Menippos: Bist du denn so gar träge, daß du dich nicht einmal zum Trinken herabbücken oder nur wenigstens mit der
hohlen Hand etwas Wasser heraufschöpfen magst?
Tantalos: Es hilft mir nichts. Wie tief ich mich auch herabbücke, das Wasser flieht vor mir, sobald es merkt, daß ich
ihm nahe bin, und wenn ich auch etwas davon schöpfe und zum Munde bringe, so läuft es mir, eh' ich noch die
äußersten Lippen benetzen kann, zwischen den Fingern durch, und die Hand ist augenblicklich so trocken wie zuvor.
Menippos: Das ist ein seltsames Abenteuer, guter Tantalos. Aber warum bist du denn so aufs Trinken erpicht, da du
doch keinen Körper mehr hast? Denn das, was dir ehmals Essen und Trinken zum Bedürfnis machte, ist in Lydien
begraben; und du, die bloße nackte Seele, wie solltest du noch hungern und dürsten können?
Tantalos: Darin besteht eben meine Strafe, daß meine Seele ebenso dürstet, als ob sie ein Körper wäre.
Menippos: Nun wohl, weil dir der Durst, wie du sagst, als Strafe auferlegt ist, so müssen wir's ja freilich glauben. Aber
worin kann denn das Schreckliche der Sache liegen? Du fürchtest doch nicht aus Mangel an Trinken zu sterben?
Wenigstens sehe ich kein anderes Totenreich, wohin man, durch den Tod in diesem hier, befördert werden könnte?
Tantalos: Darin hast du recht: Allein das macht eben einen Teil meiner Verdammnis aus, daß ich von der Begierde zu
trinken gequält werde, ohne dessen vonnöten zu haben.
Menippos: Du faselst, Tantalos! Du bedarfst in der Tat eines Trankes, aber keines anderen als von der stärksten
Nieswurz. Dein Übel ist gerade das Widerspiel dessen, was den von wütenden Hunden Gebissenen widerfährt: Sie
scheuen sich vor dem Wasser, du vor dem Durst.
Tantalos: Hätte ich nur gleich einen tüchtigen Schluck Helleborus, ich wollte ihn gewiß nicht verschmähen!
Menippos: Laß dir die Lust dazu vergehen, guter Tantalos. Es geht dir wie allen anderen Toten, und man wird dir nichts
besonders machen. Aber freilich dürsten nicht alle, wie du, zur Strafe und können bloß darum nicht trinken, weil das
Wasser nicht auf sie warten will!
Achtzehntes Gespräch
Menippos und Merkur
Menippos: Und wo sind denn die schönen Männer und Frauen, von denen da oben so viel Redens war, Merkur? Sei
doch so gut und führe mich zu ihnen, da ich hier noch so neu bin und mich noch nirgends zu finden weiß.
Merkur: Ich habe keine Zeit dazu, lieber Menippos, aber schaue nur dorthin (er zeigt mit dem Finger hin), mehr rechter
Hand, dort sind Hyakinthos und Narkissos und Nireus und Achilles und Tyro und Helena und Leda, kurz, alle die
berühmten Schönheiten des Altertums auf einem Haufen beisammen.
Menippos: Ich sehe nichts als Knochen und kahle Schädel, an denen nichts zu unterscheiden ist.
Merkur: Gleichwohl werden diese Knochen, die du so verächtlich anzusehen scheinst, von den Dichtern bis auf diesen
Tag besungen.
Menippos: Zeige mir wenigstens nur Helenen; denn ich selbst wüßte sie nicht herauszufinden.
Merkur: Dieser Schädel da ist die schöne Helena.
Menippos: Das war es also, warum sich ganz Griechenland in tausend Schiffe zusammenpacken lassen mußte, warum
so viele Griechen und Barbaren fielen und so viele Städte dem Erdboden gleichgemacht wurden?
Merkur: Mein guter Menipp, du hättest sie in ihrem Leben sehen sollen! Du hättest gewißlich (ebensowohl wie die alten
Räte des Priamos in der Iliade) gestehen müssen, daß es Nemesis selbst nicht übel nehmen könne, wenn Trojaner und
Griechenjahrelang um so ein Weib
den Jammer des Krieges erdulden.
Wer verdorrte Blumen sieht, kann es ihnen freilich nicht ansehen, wie schön sie waren, da sie in voller Blüte standen
und mit ihren natürlichen Farben prangten.
Menippos: Was mich wundert, Merkur, ist nur, wie die Griechen nicht merkten, daß sie sich um eines so vergänglichen
und so bald verblühenden Dinges willen alle diese Mühe gaben.
Merkur: Ich habe keine Zeit, mit dir zu philosophieren, Menipp, suche dir also nach Belieben einen Ort aus, wo du dich
hinlagern willst. Ich muß gehen und die übrigen Toten auch herbeiholen.
Neunzehntes Gespräch
Aiakos, Protesilaos, Menelaos und Paris
Aiakos: Was ist das, Protesilaos? Warum fällst die so über Helenen her, als ob du sie erdrosseln wolltest?
Protesilaos: Weil sie schuld an meinem Tode ist, und ich um ihretwillen mein Haus zur Hälfte unausgebaut und meine
junge Frau wenige Tage nach der Hochzeit als Witwe zurücklassen mußte.
Aiakos: So halte dich an den Menelaos, der euch um eines solchen Weibes willen nach Troja schleppte!
Protesilaos: Das ist wahr, der soll mir dafür bezahlen!
Menelaos: Nicht ich, mein guter Mann, sondern von Rechts wegen Paris, der mir, seinem Wirte, gegen alles, was recht
in der Welt ist, meine Frau entführte. Er verdient nicht nur von dir, sondern von allen Griechen und Barbaren erdrosselt
zu werden, da er dadurch an so vieler braven Männer Tode schuldig geworden ist.
Protesilaos: Das ist auch wahr! An dich also will ich mich halten, du unseliger Paris, und nie wieder von dir ablassen,
solang ich meine Hände brauchen kann.
Paris: Daran würdest du sehr unrecht tun, Protesilaos! Und um so mehr, da wir beide vom Lieben Profession gemacht
haben und also Kunstverwandte sind, die von eben demselben Gotte getrieben wurden. Denn du mußt doch wissen, daß
die Liebe etwas Unfreiwilliges oder vielmehr, daß sie eine Gottheit ist, die uns hinführt, wohin sie will, und gegen die
kein Widerstand helfen kann.
Protesilaos: Du hast recht! Könnt' ich doch nur gleich den Liebesgott zu packen kriegen!
Aiakos: Ich will dir in seinem Namen sagen, was er mit gutem Grunde zu seiner Rechtfertigung vorbringen kann. Er
kann sagen, daß sich Paris in Helenen verliebt habe, daran könnte er allenfalls wohl schuld sein, aber an deinem Tode,
Protesilaos, sei kein anderer schuld als du selbst. Wer hieß dich deine junge Frau sitzen lassen und nach Troja ziehen
und so tollkühn allen anderen zuvorspringen, daß du gleich bei der Landung das Opfer deiner unmäßigen
Ruhmbegierde wurdest?
Protesilaos: Nun, Aiakos, so will ich mit noch besserem Grunde zu meiner eigenen Rechtfertigung sagen, daß nicht ich
daran schuld bin, sondern das Verhängnis und das, was Klotho vom Anfang unseres Lebens uns verordnet hat.
Aiakos: Wohl gesprochen! Was klagst du also diese unschuldigen Leute an?
Zwanzigstes Gespräch
Menippos und Aiakos
Menippos: Um Plutos willen, sei so gut, Aiakos, und zeige mir alles, was im Totenreiche zu sehen ist.
Aiakos: Alles, mein guter Menipp, würde so leicht nicht sein, aber das Hauptsächlichste will ich dir gerne weisen. Den
Zerberus dort kennst du schon, und den Fährmann, der dich übergeführt hat, auch, den stygischen See und den
Feuerstrom hast du bei deiner Hieherkunft ebenfalls gesehen.
Menippos: Ich kenne das alles und weiß auch schon, daß du Torwärter bist; auch den König hab' ich schon gesehen und
die Furien. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, so zeige mir die Männer der alten Zeiten, besonders diejenigen, von
denen in der Oberwelt am meisten gesprochen wird.
Aiakos: Dieser hier ist Agamemnon, jener dort Achilles; dieser, etwas näher gegen uns, Idomeneus, der neben ihm,
Ulysses; dann folgen Ajax, Diomedes und die übrigen Häupter der Griechen dieser Zeit.
Menippos: Ei, ei, Meister Homer! Was ist aus den Helden deiner Rhapsodien geworden? Wie armselig sie da
untereinander auf der Erde liegen, unkennbar, aller Schönheit und Stärke beraubt, in Wahrheit schwache Köpfe wie du
sie nennst! So schwach, daß man sie mit einem Hauch zu Asche verblasen könnte! Aber wer ist der da, Aiakos?
Aiakos: Das ist Kyros und dieser hier Krösus; der neben ihm Sardanapal, der über beiden Midas und jener dort Xerxes.
Menippos: Wie? So ein Tropf wie du setzte ganz Griechenland in Furcht und Schrecken durch den Einfall, eine Brücke
über den Hellespont zu schlagen und über Berge weg zu schiffen? Was der Krösus da für eine klägliche Figur macht!
Und vollends der Sardanapal! Ich hätte große Lust, ihm eine tüchtige Ohrfeige zu geben, wenn du mir's erlauben
wolltest.
Aiakos: Beileibe nicht! Du würdest ihm den Schädel zertrümmern, so weibisch ist er.
Menippos: Aber anspeien darf ich das Mannweib doch?
Aiakos: Möchtest du nicht auch die Weisen sehen?
Menippos: O gewiß, sehr gerne.
Aiakos: Der erste hier ist Pythagoras.
Menippos: Sei mir gegrüßt, Euphorbos, oder Apollo, oder mit welchem Namen du dich lieber nennen hörst!
Pythagoras: Großen Dank, Menippos.
Menippos: Du hast wohl deinen goldnen Schenkel nicht mehr?
Pythagoras: Nein, wahrhaftig! Aber hast du was zu essen in deinem Schnappsack? Laß doch sehen!
Menippos: Nichts, mein Bester, als Bohnen, die du nicht essen darfst.
Pythagoras: Gib immer her! Seit ich unter den Toten bin, sind einige Veränderungen in meinem Lehrbegriffe
vorgegangen. Ich habe hier gelernt, daß die Bohnen und die Häupter unserer Eltern nichts miteinander gemein haben.
Aiakos: Dieser hier ist Solon, jener dort der berühmte Thales und neben ihm Pittakos und die übrigen. Es sind ihrer
sieben, wie du siehst.
Menippos: Und unter allen Toten, die ich noch gesehen, die einzigen, die ein heiteres und fröhliches Aussehen haben.
Aber der dort, der so voller Asche und Brandblasen ist, wie ein in der Asche gebackener Kuchen, wer ist der?
Aiakos: Das ist Empedokles, der halbgekocht aus dem Schlunde des Ätna bei uns anlangte.
Menippos: Heda, mein schöner Herr mit den ehernen Füßen, was war die Ursache, warum du dich in den Krater des
Ätna stürztest?
Empedokles: Ein Anfall von schwarzer Galle, Menippos.
Menippos: Ganz und gar nicht, ich weiß es besser: Eitelkeit und Ruhmsucht und eine Art von Narrheit, die du mit
Nieswurz hättest vertreiben sollen, haben dich mitsamt deinen Pantoffeln verdientermaßen so zur Kohle ausgebrannt.
Dein Kunstgriff half dir indessen nichts; denn es kam doch an den Tag, daß du gestorben warst wie andere. - Aber,
guter Aiakos, wo ist denn Sokrates?
Aiakos: Er plaudert gewöhnlich mit Nestor und Palamedes und treibt noch immer seine alten Possen.
Menippos: Ich möchte ihn doch gerne sehen, wenn er irgend in der Nähe wäre.
Aiakos: Siehst du den Glatzkopf dort?
Menippos: Ich sehe nichts als Glatzköpfe. Das ist ein Kennzeichen für alle Toten.
Aiakos: Ich meine den mit der aufgestülpten Affennase.
Menippos: Damit ist's ebenso: Alle haben solche Nasen.
Sokrates: Suchst du mich, Menippos?
Menippos: Jawohl, Sokrates.
Sokrates: Wie geht es zu Athen?
Menippos: Es gibt eine Menge junge Leute, die, ihrem Vorgeben nach, philosophieren; und wer nur auf ihren Anzug
und ihren Gang sähe, müßte sie wirklich für große Philosophen halten.
Sokrates: Ich habe sehr viele dergleichen gesehen.
Menippos: So mußt du, denke ich, auch gesehen haben, wie Aristipp und Plato selbst konditioniert waren, als sie
hierher kamen? Jener roch schon von weitem nach Pomade, und dieser hatte bei den Tyrannen in Sizilien den Höfling
machen gelernt.
Sokrates: Aber was halten die Leute von mir?
Menippos: Du bist ein glückseliger Sterblicher, Sokrates, was das betrifft! Alle Welt glaubt, du seiest ein
bewunderungswürdiger Mann gewesen und habest alles gewußt, wiewohl du (weil man doch, denke ich, die Wahrheit
sagen muß) nichts wußtest.
Sokrates: Das hab' ich ihnen immer selbst gesagt, aber sie hielten es nur für Ironie.
Menippos: Wer sind denn die da, die sich so an dich andrängen?
Sokrates: Charmides, Phädros und der Sohn des Klinias.
Menippos: Ei, ei, Sokrates, ich sehe, du treibst noch immer dein altes Handwerk; die schönen Leute gelten noch immer
viel bei dir.
Sokrates: Womit könnte ich mich besser amüsieren? Ich dächte, du legtest dich auch zu uns her, Menipp.
Menippos: Das nicht! Ich werde meine Residenz beim Krösus und Sardanapal aufschlagen; denn ich denke, es soll mir
großen Spaß machen, wenn ich sie jammern und wehklagen höre.
Aiakos: Und ich kehre zu meinem Posten zurück, damit uns nicht etwa, wenn ich mich zu weit entferne, irgendein Toter
heimlich davongehe. Ein andermal sollst du mehr sehen, Menipp.
Menippos: Gehe nur, Aiakos, es ist auch an diesem genug.
Einundzwanzigstes Gespräch
Menippos und Zerberus
Menippos: Vetter Zerberus, weil ich doch auch zum Hundegeschlecht gehöre, so sage mir, um der Verwandtschaft
willen, sage mir, ich beschwöre dich beim Styx, wie betrug sich Sokrates, da er zu euch herabkam? Denn da du ein Gott
bist, mußt du natürlicherweise mehr als bellen und, sobald es dir beliebt, auch in menschlicher Sprache dich vernehmen
lassen können.
Zerberus: Von ferne, lieber Menippos, schien er allerdings mit unverändertem Gesichte heranzukommen und denen, die
außerhalb der Mündung des Tartaros standen, zeigen zu wollen, daß er sich ganz und gar nicht vor dem Tode fürchte.
Sobald er aber wirklich in den Schlund hinabsank und sah, wie finster es da ist, und wie ich ihn, da er mir's des
Schierlings wegen zu lange machte, in den Fuß biß und vollends hereinzog, da wimmerte er wie ein kleines Kind, fing
eine große Wehklage um seine eigenen Kinder an und schnitt die seltsamsten Gesichter von der Welt.
Menippos: Der Mann war also doch wohl am Ende nur ein Sophist, und seine Verachtung des Todes eine bloße
Grimasse?
Zerberus: Nichts weiter! Wie er sah, daß es nun einmal gestorben sein mußte, machte er den Großherzigen und tat, als
ob er sich freiwillig gefallen ließe, was er zu leiden schlechterdings genötigt war, und das - um von den Zuschauern
bewundert zu werden. Überhaupt kann ich das von allen diesen Leuten, die mehr als andere sein wollen, sagen: Bis zur
Mündung sind sie tapfer und voller Mut, aber ihr Betragen, wenn sie drinnen sind, überweiset sie augenscheinlich des
Gegenteils.
Menippos: Wie findest du denn, daß ich bei meiner Hierherkunft mich benommen habe?
Zerberus: Du allein hast der Familie durch dein Betragen Ehre gemacht, und vor dir Diogenes, weil ihr nicht
gezwungen und gestoßen herabgekommen seid, sondern freiwillig, lachend und aller anderen spottend, die sich so
tragisch bei der Sache gebärden.
Zweiundzwanzigstes Gespräch
Charon, Menippos und Merkur
Charon: Bezahle das Fährgeld, Schurke!
Menippos: Schreie, solange es dir angenehm ist, Charon.
Charon: Bezahle, sag' ich; meinst du, daß ich dich umsonst herübergefahren haben wolle?
Menippos: Wer nichts hat, kann nichts geben.
Charon: Wer in der Welt ist so arm, daß er nicht zwei Kreuzer im Vermögen hätte?
Menippos: Ob es noch so einen gibt, weiß ich nicht, aber von mir weiß ich, daß ich sie nicht habe.
Charon: Beim Pluto, ich schnüre dir die Kehle zu, wenn du mich nicht bezahlst!
Menippos: So schlag' ich dir mit meinem Stecken den Schädel ein.
Charon: Du solltest also eine so lange Überfahrt unentgeltlich gemacht haben?
Menippos: Merkur, der mich dir gebracht hat, mag auch für mich bezahlen.
Merkur: Zum Jupiter! Da würde ich mich gut bei meinem Ämtchen stehen, wenn ich für die Toten auch noch bezahlen
müßte.
Charon(zu Menippos): Ich lasse nicht von dir ab.
Menippos: Was das betrifft, so kannst du meinetwegen deinen Kahn in den Ankerplatz ziehen und warten, solange dir's
beliebt, aber wie willst du, daß ich dir gebe, was ich nicht habe?
Charon: Wußtest du denn nicht, was du mitbringen müßtest?
Menippos: Ich wußte es wohl, aber ich hatte nichts. Wie? Hätte ich etwa deswegen nicht sterben sollen?
Charon: Du allein solltest dich groß damit machen können, daß du umsonst übergefahren seiest!
Menippos: Nicht so umsonst, mein schöner Herr: Half ich nicht pumpen und rudern und war der einzige unter allen
Passagieren, der nicht heulte?
Charon: Das alles hat nichts mit dem Fährgelde zu tun. Du mußt deinen halben Batzen bezahlen, es geht nun einmal
nicht anders an.
Menippos: Ich weiß dir keinen andern Rat, als du führst mich ins Leben zurück.
Charon: Das wäre noch schöner! Daß ich noch obendrein Schläge vom Aiakos dafür bekäme!
Menippos: So laß mich ungeschoren.
Charon: Weis einmal her, was du im Schnappsack hast.
Menippos: Wolfsbohnen und ein Hekatemahl.
Charon: Wo in aller Welt hast du dieses unverschämte Hundegesicht aufgelesen, Merkur? Solange die Überfahrt
dauerte, blieb ihm das Maul keinen Augenblick stehen, er belachte und verspottete alle anderen Passagiere und sang
lustige Liedchen, während die übrigen jammerten.
Merkur: Du weißt also nicht, Charon, was für einen großen Mann du übergeführt hast? Er ist ein Freiherr im
eigentlichen Verstande und fragt nach niemand was; mit einem Wort, es ist Menippos.
Charon(zu Menippos): Wenn ich dich je wieder kriege -
Menippos: Ja, wenn! Du sollst mich gewiß nicht zweimal kriegen!
Dreiundzwanzigstes Gespräch
Pluto, Proserpina und Protesilaos
Protesilaos: O unbeschränkter Herr und König des Totenreiches, unser Jupiter, und du, erhabene Tochter der Ceres, laßt
das Flehen eines Verliebten Gnade vor euern Augen finden!
Pluto: Was verlangst du von uns? Wer bist du?
Protesilaos: Ich bin Protesilaos, des Iphikles Sohn, aus Phylake, einer von denen, die mit den übrigen Griechen vor
Troja zogen, und der erste, der dabei umkam. Ich bitte nur auf kurze Zeit um Urlaub, ins Leben zurückzukehren.
Pluto: Du bist also ins Leben verliebt, mein guter Protesilaos? Solche Liebhaber haben wir hier in Menge, aber sie
lieben einen Gegenstand, der keinem von ihnen zuteil werden kann.
Protesilaos: Ich, o Pluto, bin nicht in das Leben verliebt, sondern in meine junge Frau, die ich unmittelbar nach unserer
Vermählung in der hochzeitlichen Kammer zurückließ, als ich mich nach Troja einschiffte. Unglücklicherweise fiel ich,
gleich beim Aussteigen, von Hektors Hand; und nun läßt mir die Sehnsucht nach meinem Weibchen keine Ruhe,
gnädiger Herr, und wenn ich ihr nur auf eine sehr kurze Zeit sichtbar werden könnte, wollte ich gerne wieder
zurückkommen.
Pluto: Du hast also nicht aus dem Lethe getrunken, Protesilaos?
Protesilaos: O gewiß, gnädiger Herr, aber meine Liebe ist stärker als die Kraft seines Wassers.
Pluto: Gedulde dich also; sie wird über kurz oder lang hier sein, ohne daß du zu ihr hinauf zu reisen brauchst.
Protesilaos: Ich kann unmöglich so lange warten, Pluto! Du hast selbst geliebt und weißt also, wie einem Verliebten
zumute ist.
Pluto: Was könnt' es dir aber helfen, auf einen einzigen Tag wieder lebendig zu werden? In kurzem würde der Jammer
wieder von vorn angehen.
Protesilaos: Ich schmeichle mir, sie überreden zu können, daß sie mich zu euch begleite; und so würdest du für einen
Untertan in so kurzer Zeit zwei bekommen.
Pluto: Du verlangst etwas, das gegen alle Ordnung ist; es ist noch nie geschehen.
Protesilaos: Erlaube, o Pluto, daß ich deinem Gedächtnis nachhelfe. Habt ihr nicht um der nämlichen Ursache willen
dem Orpheus seine Eurydike wiedergegeben? Und ist nicht meine Base Alkeste, dem Herkules zu Gefallen, ins Leben
zurückgeschickt worden?
Pluto: Du wolltest dich also mit diesem häßlichen nackten Schädel vor deiner schönen Braut sehen lassen? Wie kannst
du hoffen, von ihr aufgenommen zu werden, da sie dich nicht einmal erkennen würde? Ganz gewiß würde sie vor dir
erschrecken und davonlaufen, und so hättest du einen so großen Weg vergebens gemacht.
Proserpina: Könntest du diesem Übel nicht abhelfen, lieber Mann, wenn du dem Merkur befehlen wolltest, daß er den
Protesilaos, sobald er ihn an das Tageslicht hinaufgebracht hätte, mit seinem Stabe berühren und wieder zu eben dem
schönen Jüngling machen sollte, der er war, als er aus dem Brautgemach hervorging?
Pluto: Nun denn, weil Proserpina auch dieser Meinung ist, so führe ihn wieder hinauf, Merkur, und mach ihn wieder
zum Bräutigam. Aber du, vergiß nicht, daß du nur auf einen Tag Urlaub hast!
Vierundzwanzigstes Gespräch
Diogenes und Mausolos
Diogenes: Höre du, Karier, worauf bildest du dir soviel ein, daß du vor uns allen den Vorrang haben willst?
Mausolos: Fürs erste, Herr Sinopenser, war ich König von ganz Karien und Herr über verschiedene Distrikte von
Lydien. Ich erweiterte mein Reich durch Unterwerfung verschiedener Inseln, erstreckte meine Eroberungen bis Milet
und überwältigte den größten Teil von Ionien. Außerdem hatte ich persönliche Vorzüge. Ich war schön, groß von Statur
und von einer Leibesbeschaffenheit, die alle Beschwerden des Krieges aushalten konnte. Endlich, und was das
vornehmste ist, habe ich zu Halikarnaß ein ungeheures Grabmal auf mir liegen, das an Größe und Schönheit
seinesgleichen in der ganzen Welt nicht hat und mit den herrlichsten Bildern von Menschen und Pferden ausgeziert ist,
alles aus einem so schönen Marmor, wie man ihn nicht leicht an einem Tempel finden wird. Und auf das alles sollte ich
nicht mit Recht stolz sein, meinst du?
Diogenes: Also auf deine Krone, auf deine Gestalt und auf die Schwere deines Grabmals?
Mausolos: Das sollt' ich denken, beim Jupiter!
Diogenes: Aber, schönster Mausolos, von deiner Schönheit und Stärke ist nichts mehr zu sehen; und wenn ich dir den
Vorzug der Gestalt streitig machen wollte, würdest du dem Richter keinen Grund angeben können, warum dein Schädel
schöner als der meinige sein sollte. Beide sind kahl und abgeschält, unsre Zähne grinsen beiderseits auf gleiche Art, und
wir haben beide statt der Augen leere Löcher und aufgestülpte Affennasen. Was aber dein Grabmal betrifft und die
kostbaren Steine, woraus es verfertigt ist, so mögen die Einwohner von Halikarnaß allerdings Ursache haben, sie den
Fremden zu zeigen und sich groß damit zu machen, daß sie ein so großes Werk der Kunst in ihren Mauern besitzen.
Was aber du, mein schöner Herr, für einen Genuß davon hättest, sehe ich nicht; du müßtest denn nur sagen, daß du doch
eine größere Last tragest als wir andern, da du einen so ungeheuern Steinhaufen auf dir liegen hast.
Mausolos: Das alles sollte mir also zu nichts helfen, und Mausolos sollte nicht mehr und nicht weniger sein als
Diogenes?
Diogenes: Was den letzteren Punkt betrifft, mein edler Herr, nein, diese Gleichheit muß ich verbitten. Denn Mausolos
wird wimmern und wehklagen, sooft er sich der Dinge erinnert, die im Leben seine Vorzüge und sein Glück
ausmachten. Diogenes hingegen wird ihn auslachen. Mausolos spricht von dem Grabmale, das ihm Artemisia, seine
Gemahlin und Schwester, zu Halikarnaß errichten ließ. Diogenes weiß nicht einmal, ob sein Leichnam irgendwo ein
Grab bekommen hat und bekümmert sich auch nicht darum. Dafür hat er hingegen den besten der Menschen das
Andenken hinterlassen, das Leben eines Mannes gelebt zu haben. Und dies Denkmal, o du erster unter allen deinen
sklavischen Kariern, ist höher und ruht auf einem festern Grunde als das deinige.
Fünfundzwanzigstes Gespräch
Nireus, Thersites und Menippos
Nireus: Da ist ja Menippos! Der kann gleich den Ausspruch tun, wer von uns beiden der Schönste ist. Aufrichtig,
Menippos, deucht dir nicht, daß ich schöner bin als er?
Menippos: Wer seid ihr denn? Das ist, denke ich, was ich vor allen Dingen wissen muß.
Nireus: Nireus und Thersites.
Menippos: Wer von beiden ist denn Nireus und wer Thersites? Denn bis jetzt fällt es nicht in die Augen.
Thersites: Ich habe also schon so viel gewonnen, daß ich dir ähnlich bin, und dein Vorzug also so groß nicht sein kann,
wie ihn der blinde Homer macht, da er dich den schönsten aller Griechen nennt. Braucht es einen stärkeren Beweis, als
daß ich, meines spitzigen Kopfes und meiner einzelnen Haare ungeachtet, dem Richter nicht schlechter vorgekommen
bin als du? Aber betrachte uns recht, Menipp, und sage dann, welchen du für den Schöneren hältst?
Nireus: Natürlicherweise mich, den Sohn des Charops und der Aglaja,
mich, den schönsten der Männer, die gegen Ilion zogen.
Menippos: Wenigstens bist du nicht als der Schönste unter die Erde gekommen, deucht mir: Die Knochen sind gleich,
und zwischen deinem Schädel und des Thersites seinem dürfte wohl kein anderer Unterschied sein, als daß der deinige
leichter zu zertrümmern ist; denn er sieht so schwach und unmännlich aus, daß man ihn eher für einen Weiberschädel
halten sollte.
Nireus: Frage nur den Homer, was für ein Mann ich war, da ich unter den Griechen vor Troja Dienste tat.
Menippos: Träume, mein guter Nireus! Ich weiß nur das, was ich sehe und was du jetzt bist. Was du damals warst,
mögen die wissen, die mit dir lebten.
Nireus: Ich wäre also hier nicht schöner als andere, Menipp?
Menippos: Hier ist niemand schön, weder du noch ein anderer: Im Lande der Toten sind alle gleich.
Thersites: Ich für meinen Teil verlange nicht mehr.
Sechsundzwanzigstes Gespräch
Menippos und Cheiron
Menippos: Wie ich höre, Cheiron, sollst du, wiewohl du von Geburt ein Gott bist, zu sterben verlangt haben.
Cheiron: Du hast die Wahrheit gehört, Menipp.
Menippos: Was kam dich für eine Liebe zum Tode an, den doch die meisten so unliebenswürdig finden?
Cheiron: Einem so verständigen Manne wie du kann ich es schon sagen. Die Unsterblichkeit hatte nichts Angenehmes
mehr für mich.
Menippos: Wie? Es war dir nicht angenehm, das Sonnenlicht zu sehen?
Cheiron: Nein, Menipp! Für mich ist nichts Angenehmes ohne Mannigfaltigkeit. Immer einerlei Vergnügen ist meiner
Meinung nach kein Vergnügen. Also immer zu leben, wie mein Fall war, und immer dieselbe Sonne zu sehen, und mich
immer auf dieselbe Weise zu nähren, und zu sehen, wie die Jahreszeiten und alles, was sie mit sich bringen, immer sich
selbst ähnlich in derselben Ordnung, eines hinter dem andern, in einer ewigen Reihe folgt, und immer heute voraus zu
wissen, daß es morgen ebenso sein wird - das machte mir endlich Langeweile, und ich wurd' es schlechterdings
überdrüssig; denn, noch einmal, das Vergnügen liegt nicht im Genusse der nämlichen Sache, wie angenehm sie auch
sein mag, sondern entspringt aus der steten Abwechslung neuer Gegenstände.
Menippos: Wohl gesprochen, Cheiron! Aber wie findest du denn deine Lage hier im Orkus, seitdem du aus eigener
Wahl hieher gekommen bist?
Cheiron: Nicht unangenehm, Menipp. Die allgemeine Gleichheit, die hier herrscht, hat etwas Populäres, das mir gefällt,
und übrigens ist mir's ganz einerlei, ob es hell oder dunkel um mich herum ist. Außerdem bin ich hier, wo man weder
hungert noch dürstet, des Essens und Trinkens überhoben, das da oben unentbehrlich war.
Menippos: Gib acht, Cheiron, daß du nicht gegen dich selbst anrennest und am Ende wieder auf eben dem Punkte bist,
von dem du dich entfernen wolltest.
Cheiron: Wieso?
Menippos: Wenn du des Lebens da oben überdrüssig wurdest, weil alles immer das nämliche war, so wirst du es hier,
wo auch alles immer das nämliche ist, bald satt werden und, um dich zu verändern, wieder in ein andres Leben ziehen
müssen, welches, wie ich besorge, unmöglich ist.
Cheiron: Wie könnte sich einer denn also helfen, Menipp?
Menippos: Ich sehe nur ein Mittel und das, meines Wissens, nichts Neues ist: Ein Verständiger nimmt alles, wie es ist,
behilft sich damit, wie er kann und hält nichts Unvermeidliches für unerträglich.
Siebenundzwanzigstes Gespräch
Diogenes, Antisthenes, Krates und ein Bettler
Diogenes: Antisthenes und Krates, wie wär' es, da wir doch nichts zu tun haben, wenn wir zusammen einen
Spaziergang nach dem Eingang machten, um zu sehen, was es für neue Ankömmlinge gibt, und wie sich ein jeder von
ihnen aufführt?
Antisthenes: Recht gerne, Diogenes. Es wird ein unterhaltendes Schauspiel für uns sein, wie die einen in Tränen
zerfließen, andere fußfällig bitten, daß man sie gehen lassen möchte, wieder andere gar nicht fort wollen, sondern
unvernünftigerweise mit Merkur, der sie vorwärtsstößt, ringen, oder sich auf den Rücken legen und in Güte gar nicht
von der Stelle zu bringen sind.
Krates: Und ich will euch unterwegs erzählen, was bei meiner eigenen Herabkunft passierte.
Diogenes: Laß hören, Krates. Ich sehe dir's an, daß du uns sehr lächerliche Dinge zu erzählen hast.
Krates: Unter einer Menge anderer, die mit mir herabstiegen, zeichneten sich Ismenodoros, einer von unsern reichsten
Thebanern, und Arsazes, Satrap von Medien, und Orötes der Armenier besonders aus. Ismenodoros, der auf einer Reise
nach Eleusis, denke ich, in einem Hohlweg am Kithäron von Räubern ermordet worden war, ächzte ganz erbärmlich
und hielt seine Wunde mit beiden Händen zu; dann rief er die kleinen Kinder, die er zurückließ, mit Namen und klagte
sich selbst der Tollkühnheit an, daß er auf einer Reise über den Kithäron, wo er durch die im letzten Kriege verwüsteten
Gegenden von Eleutherä mußte, nur zwei Bediente mitgenommen, da er doch fünf goldene Schalen und vier große
goldene Becher bei sich gehabt hätte. Der Satrap Arsazes, ein schon bejahrter Mann mit einer vornehmen und ziemlich
ehrwürdigen Miene, zeigte seinen Unmut nach seiner Landesart. Er ärgerte sich sehr darüber, daß er zu Fuß gehen sollte
und verlangte, man sollte ihm sein Pferd bringen; denn dies war zugleich mit ihm gefallen, indem sie beide mit einem
Stoß von einem thrakischen Peltasten in einem Treffen mit den Kappadokiern am Araxes durchstochen worden waren.
Arsazes nämlich hatte sich, wie er selbst erzählte, in einer zu großen Entfernung, mitten unter die Feinde hineingestürzt,
der Thrakier aber, der gegen ihn standhielt, hatte mit einem halbrunden Schilde den Stoß seiner Lanze auspariert und in
eben dem Augenblick ihn und sein Pferd mit seinem langen makedonischen Spieße durchstochen.
Antisthenes: Wie konnte das auf einen Stoß geschehen, Krates?
Krates: Sehr leicht. Der Satrap kam mit eingelegter zwanzig Ellen langer Lanze angerennt. Der Thrakier hingegen,
sobald er den Stoß mit seinem Schilde auspariert hatte, so daß die Lanze neben ihm vorbeifuhr, stemmte sich auf das
eine Knie, hielt dem in vollem Sprung gegen ihn anrennenden Reiter seinen Spieß vor und traf das Pferd unter der
Brust; und da dieses durch die Wut und Heftigkeit, womit es daherstürzte, sich selbst durchbohrte, so konnte es nicht
fehlen, daß auch Arsazes zu gleicher Zeit durchs Gemächte gestochen, und also beide auf einen Stoß ins Gras gestreckt
wurden. Du siehst, daß es ganz natürlich zuging und mehr des Pferdes als des Thrakiers Werk war. Indessen ärgerte
sich der Satrap, daß er mit den übrigen auf gleichen Fuß gesetzt sein sollte und wollte schlechterdings zu Pferd ins
Reich der Toten reisen. - Was den Orötes betrifft, der hätte in der Tat wohl ein Pferd nötig gehabt, wiewohl er kein so
vornehmer Herr war wie jener; denn er war so schwach auf seinen Füßen, daß er kaum auf dem Boden stehen,
geschweige gehen konnte. Dies ist der Fall bei allen Mediern. Sobald sie vom Pferde herab sind, wackeln sie mit Mühe
auf den Fußspitzen daher, als ob sie auf Dornen gingen. Wie er also auf der Nase lag und alle Mittel, ihn wieder auf die
Beine zu bringen, vergeblich waren, lud ihn der allerliebste Merkur endlich auf seine Schultern und trug ihn bis in
Charons Nachen. Ich mußte lachen, so oft ich ihn ansah.
Antisthenes: Wie ich diese Reise machte, mengte ich mich nicht unter die übrigen. Ich ließ sie heulen, soviel sie
wollten, lief ihnen allen zuvor, war der erste im Nachen und suchte mir den besten Platz aus. Während der Überfahrt
weinten die andern und bekamen die Seekrankheit. Mir hingegen machte das alles großen Spaß.
Diogenes: Auch ich hatte auf meiner Herreise eine hübsche Gesellschaft. Der Wechsler Blepsias aus dem Piräus,
Lampis aus Akarnanien, Oberster über die fremden Mietstruppen seiner Republik, und Damis, der reiche, alte Geizhals
von Korinth, waren meine Reisegefährten. Der letztere war von seinem eigenen Sohne vergiftet worden. Lampis hatte
sich aus Liebe zu der schönen Myrtion die Kehle abgeschnitten, und vom Blepsias hieß es, der arme Teufel sei Hungers
gestorben. Und wirklich sah er ganz grüngelb aus und war nichts als Haut und Knochen. Wiewohl mir alle diese
Umstände schon vorher bekannt waren, erkundigte ich mich doch bei einem jeden von ihnen nach der Art seines Todes.
Damis klagte seinen gottlosen Sohn an. Es ist dir recht geschehen, sagte ich. Ein Mann von neunzig Jahren, der mehr
als eine Million im Vermögen hat und seinem achtzehnjährigen Sohn täglich acht Kreuzer zu verzehren gibt, während
er selbst in Üppigkeit und Überfluß schwimmt, was kann ein solcher Mann von seinem Sohne besseres erwarten. Und
du, Herr Akarnanier (denn auch der seufzte und stöhnte und fluchte seiner Geliebten alle Übel auf den Hals), warum
klagst du die Liebe an und nicht vielmehr dich selbst? Warum ließ der tapfre Mann, der vor den Feinden nie gezittert
hatte und in einem Treffen immer der vorderste war und sich den größten Gefahren aussetzte, warum ließ er sich von
den falschen Tränen und erdichteten Liebesseufzern der ersten kleinen Metze, die ihm in den Wurf kam, überwältigen?
Was den Blepsias betrifft, der machte sich seiner Torheit wegen selbst so große Vorwürfe, daß ich ihm nichts zu sagen
hatte. «Was für ein Narr und Dummkopf ich war», rief er aus, «mir einzubilden, ich würde ewig leben, und mein
Vermögen für Erben, die mich nichts angingen, zu hüten und aufzusparen! » Ihr könnt euch vorstellen, daß mir diese
Narren mit ihrem Gewimmer die Zeit und den Weg auf eine sehr angenehme Art verkürzten. - Aber wir sind nun ganz
nahe an der Mündung. Bleiben wir hier stehen, um die Ankommenden schon von weitem her beobachten zu können. Es
sind ihrer eine große Menge, von allen Gattungen, und alle weinen, die neugebornen und unmündigen Kinder
ausgenommen. Sogar die ältesten Greise jammern, daß sie so frühzeitig weggerafft worden! Unbegreiflich! Sollte man
nicht glauben, diese rasende Liebe zum Leben wäre ihnen in einem Zaubertränkchen beigebracht worden? - Ich will
doch den steinalten Greis dort ein wenig ausfragen. - Warum weinst du so, mein Bester? Man dächte, du wärest doch alt
genug zu uns gekommen. Du bist vermutlich ein König gewesen?
Der Bettler: O nein!
Diogenes: Aber ein Satrap?
Bettler: Auch das nicht.
Diogenes: Du warst also sehr reich, und nun schmerzt es dich, daß du all den Überfluß und das Wohlleben im Tode
zurücklassen mußtest?
Bettler: Nichts dergleichen! Ich bin nahezu neunzig Jahre alt geworden. Ich erhielt mein Leben kümmerlich mit meiner
Angelrute, war immer bettelarm und litt Mangel an allem, war kinderlos und zu allem dem noch lahm und beinahe
blind.
Diogenes: Und in einer solchen Lage konntest du noch länger zu leben wünschen?
Bettler: Jawohl! Das Sonnenlicht zu sehen ist was gar zu Angenehmes und hingegen nichts Ärgeres und
Abscheulicheres als tot sein!
Diogenes: Du faselst, alter Mann. Unser Fährmann Charon ist kaum älter als du, und du haderst mit dem Schicksal wie
ein Bursche von sechzehn Jahren! Was kann man nun den jungen Leuten übelnehmen, wenn Greise von neunzig noch
so verliebt ins Leben sind? Sie, die den Tod als das einzige Mittel gegen alle Beschwerden des Alters begierig
aufsuchen sollten! - Aber wir wollen wieder umkehren; man könnte uns sonst im Verdacht haben, daß wir durchgehen
wollten, wenn man uns so um die Mündung des Orkus herumschwärmen sähe.
Achtundzwanzigstes Gespräch
Menippos und Tiresias
Menippos: Tiresias, auf ein paar Worte! Du sollst blind gewesen sein, sagt man. Das ist ein Umstand, der sich jetzt
nicht mehr untersuchen läßt, da wir alle leere Augen, oder vielmehr bloße Löcher statt der Augen im Kopfe haben, und
es einem also nicht wohl anzusehen ist, ob er so blind wie Phineus oder so luchsäugig wie Lynkeus war. Aber daß du
ein Wahrsager warest, und vor allen anderen Menschen den Vorzug hattest, zu verschiedenen Zeiten Mann und Weib
gewesen zu sein, erinnre ich mich sehr gut von den Dichtern gehört zu haben. Ich bitte dich also um aller Götter willen,
sage mir, bei welchem Geschlecht befandest du dich besser, beim männlichen oder beim weiblichen?
Tiresias: Als Weib hatte ich es um sehr vieles besser, Menipp; denn die Weiber haben weit weniger zu tun und zu
sorgen als die Männer. Überdies herrschen sie unumschränkt über das männliche Geschlecht, ohne daß sie in den Krieg
zu ziehen oder auf den Stadtmauern Wache zu stehen noch in den Volksversammlungen sich heiser zu schreien oder
vor Gericht zu erscheinen brauchen.
Menippos: Ich sehe wohl, Tiresias, daß du nie gehört hast, wie bitterlich die Euripideische Medea sich über das
unglückliche Los der Weiber beklagt, und wie unerträglich sie die Schmerzen findet, die sie beim Kindergebären
auszustehen haben. Aber weil mich doch die Jamben der Medea darauf gebracht haben, sage mir, hast du jemals ein
Kind gehabt, wie du Weib warest, oder bist du unfruchtbar gewesen?
Tiresias: Warum willst du das wissen, Menipp?
Menippos: Es hat ja nichts auf sich, Tiresias. Antworte mir nur, wenn du nicht anders kannst.
Tiresias: Ich war nicht unfruchtbar und habe gleichwohl nie geboren.
Menippos: Das ist mir schon genug. Ich wollte nur wissen, ob du alles gehabt habest, was dazu gehört, um Mutter
werden zu können.
Tiresias: Allerdings hatte ich das.
Menippos: Wie kam es nun aber, daß du zum Manne wurdest? Ging die Verwandlung allmählich und gleichsam
unvermerkt oder plötzlich und auf einmal vor sich?
Tiresias: Ich sehe nicht, was du mit dieser Frage willst? Es scheint, du glaubest mir nicht, daß mir das alles wirklich
begegnet sei.
Menippos: Es wäre freilich eine große Ungebühr, solche Dinge nicht zu glauben, Tiresias, man muß sie, wie ein gutes
frommes Schaf, ohne alles naseweise Nachforschen, ob sie auch möglich sind, auf- und annehmen, das versteht sich!
Tiresias: Du glaubst also wohl ebensowenig, daß Aëdon in eine Nachtigall, Daphne in einen Lorbeerbaum und Kallisto
in eine Bärin verwandelt worden sind?
Menippos: Wenn ich jemals mit diesen Damen zusammenkommen sollte, werde ich hören, was sie sagen. Aber du,
mein trefflicher Herr, weissagtest du, als du ein Frauenzimmer warst, auch schon wie nachher? Oder hast du die Rolle
eines Mannes und eines Propheten miteinander spielen gelernt?
Tiresias: Wie ich sehe, weißt du auch gar nichts von meiner Geschichte, weißt kein Wort davon, daß ich einst einen
Streit zwischen Jupiter und Juno entscheiden mußte, daß mich Juno (weil ihr mein Ausspruch mißfiel) des Gesichts
beraubte, Jupiter hingegen mich wegen dieses Unglücks durch die Gabe der Weissagung zu trösten versuchte.
Menippos: Wie, Tiresias? Hängst du auch hier noch an diesen Lügen? Doch darin machst du es wie andere Weissager
auch; es ist ein allgemeiner Brauch bei euch, nichts Gesundes zu sagen.
Neunundzwanzigstes Gespräch
Ajax und Agamemnon
Agamemnon: Höre, Ajax, wenn du aus Raserei dich selbst umgebracht hast und uns allen ein gleiches zugedacht
hattest, was klagst du den Ulysses an? Neulich, wie er herabkam, um sich weissagen zu lassen, schautest du ihn nicht
einmal an, geschweige daß du ihn eines Wortes gewürdiget hättest, wo er doch dein Kamerad und guter Freund
gewesen war, sondern gingest stolz über ihn wegsehend und mit großen Schritten neben ihm vorbei.
Ajax: Und das wie billig, Agamemnon; denn er war an meiner Raserei schuld, da er allein sich herausnahm, mir die
Waffen streitig zu machen.
Agamemnon: Wie konntest du dir denn einbilden, ohne Gegner zu bleiben und ohne Kampf den Sieg über uns alle
davonzutragen?
Ajax: Das konnte ich allerdings bei dieser Gelegenheit; denn die ganze Rüstung des Achilles gehörte von Rechts wegen
mein, da er meines Vaters Bruders Sohn war. Auch habt ihr übrigen, die ihr doch viel besser waret als Ulysses, keinen
Anspruch darauf gemacht und mir den wohlverdienten Kampfpreis nicht streitig zu machen begehrt. Nur der Sohn des
Laertes, den ich so oft rettete, wenn er in Gefahr war, von den Phrygiern zusammengehauen zu werden, maßte sich an,
besser als ich und der Waffen des Achilles würdiger zu sein.
Agamemnon: Eigentlich, mein edler Herr, müßtest du dich über die Thetis beklagen, die, anstatt diese Waffen als ein
von deinem Vetter auf dich gefallenes Erbstück dir einzuhändigen, demjenigen zum Preise aussetzte, dem die Griechen sie zuerkennen würden.
Ajax: Keineswegs, ich halte mich bloß an Ulyssen, den einzigen, der sie mir streitig machte.
Agamemnon: Es ist ihm doch als etwas sehr Menschliches zu verzeihen, Ajax, wenn er sich von der Liebe zum Ruhme hinreißen ließ; einer so angenehmen Sache, daß keiner unter uns war, der um ihretwillen nicht alles gewagt hätte. Zudem wurde ihm ja von den Trojanern selbst der Vorzug vor dir zuerkannt.

Ajax: Ich weiß sehr wohl, wer die war, die mich verurteilte. Es ist nur nicht erlaubt, alles von den Göttern zu sagen, was
man könnte. Aber daß ich den Ulysses nicht hassen sollte, das kann ich nicht, Agamemnon, und wenn es mir Minerva
selbst gebieten wollte!
Dreißigstes Gespräch
Minos und Sostratos
Minos: Der Straßenräuber Sostratos hier soll in den Feuerstrom geworfen werden! Jenen Tempelschänder soll die
Chimära zerreißen! Diesen Tyrannen, Merkur, streckt neben den Tityos aufs Rad, und die Geier sollen auch ihm die
Leber abfressen! Ihr Guten aber eilt dem Elysischen Gefilde zu und bewohnet die Insel der Seligen zur Belohnung der
Rechtschaffenheit, die ihr in euerm Leben bewiesen habt!
Sostratos: Höre, Minos, ob gegen die Richtigkeit dessen, was ich sagen will, etwas einzuwenden ist!
Minos: Ich soll schon wieder hören? Bist du nicht überwiesen worden, Sostratos, daß du ein Bösewicht bist und so viele
Menschen ermordet hast?
Sostratos:Überwiesen bin ich, aber ob ich auch mit Recht gestraft werde, das ist noch auszumachen.
Minos: Das ist längst ausgemacht, oder es müßte nicht recht sein, daß jeder empfange, was er verdient hat.
Sostratos: Wenigstens, Minos, antworte mir nur auf ein paar kleine Fragen.
Minos: So laß hören, aber mach' es kurz, denn ich habe noch mehr Urteile zu expedieren.
Sostratos: Was ich in meinem Leben getan, hab' ich es aus eigenmächtiger Bewegung getan oder kraft eines
unwiderruflichen Schlusses der Schicksalsgöttin?
Minos: Kraft des letztern, das versteht sich.
Sostratos: Also handeln die Guten sowohl als wir Bösewichter, wie man uns nennt, in allem, was wir tun, als Diener
dieser Göttin?
Minos: Der Klotho nämlich, die bei eines jeden Geburt alle Taten seines Lebens anordnet, allerdings!
Sostratos: Gesetzt nun, es töte einer jemanden, weil er von einem anderen dazu genötigt wird, wie dies zum Beispiel
beim Scharfrichter oder bei einem Trabanten der Fall ist, wenn jener vom Kriminalrichter, dieser vom Tyrannen den
Befehl dazu bekommt. Wen wirst du für den Mord verantwortlich machen?
Minos: Unstreitig den Richter oder den Tyrannen. Das Schwert selbst gewiß nicht; denn das ist ein bloßes Werkzeug,
dessen sich derjenige nach seinem Belieben bedient, der eigentlich an der Tat schuld ist.
Sostratos: Vortrefflich, Minos, ich bedanke mich für die Zugabe zu meinem Gleichnis. Wenn mir also ein Bedienter
eine Summe Geldes bringt, womit ihn sein Herr an mich abgeschickt hat, wen von beiden muß ich als meinen Wohltäter
in mein Gedächtnisbuch schreiben?
Minos: Natürlich den, der dir das Geld geschickt hat; denn der andere, der es überbrachte, tat es nur als Diener.
Sostratos: Siehst du nun nicht, wie ungerecht du verfährst, da du uns dafür bestrafst, daß wir als Diener der Klotho
getan haben, was sie uns befahl, und jene für das Gute belohnest, das sie in ihrem Namen ausgeteilt haben? Denn daß es
möglich sein könnte, sich demjenigen zu entziehen, was uns eine unbedingte Notwendigkeit auferlegt, wird doch wohl
niemand behaupten.
Minos: Mein guter Sostratos, wenn du es so genau nehmen willst, so möchte sich leicht finden, daß noch viel anderes in
der Welt geschieht, was sich mit der Vernunft nicht recht zusammenreimen läßt. Indessen hast du mich mit deiner Frage
wenigstens davon überzeugt, daß du ein ebenso großer Raisonneur als Straßenräuber bist, und das soll dein Schaden
nicht sein. Binde ihn los, Merkur, und laß ihn ungestraft. - Aber du, nimm dich in acht, daß du mir nicht auch die
anderen Toten solche Fragen tun lehrest!